Full text: Philosophie der Religion , 6 (06)

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im Besitze der Wahrheit zu seyn, sie kann also, ohne der 
selben untreu zu werden, nicht ein Haarbreit abweichen.— 
Beyde wenigstens sollen schweigen. Aber ist dieses nicht 
schon eine Untreue, und wird damit der Zweifel gehoben, 
und das Herz des rechtschaffenen Christen beruhigt? Nein! 
«lödann verschwindet nur der Zweifel, wann die Wahrheit 
in so ein helles Licht ist gefetzt worden, daß sie von keiner 
Parthey unsträflicher Weife kann verkannt werden. Und 
wer wird diese Wirkung einem gütlichen Vertrage zumu- 
«hen? Laßt uns also auf etwas anders denken. 
Das erste was uns einfallt, und was uns einfallen 
«ruß, weil man uns damit stets in den Ohren liegt, ist 
-die Bibel. Dieses göttliche Buch allein soll zureichen, all n 
Srrcithandeln ein Ende zu machen. Gäbe es der Him 
mel! aber wie, wenn uns die stete Erfahrung, seit sicben- 
zehn Jahrhunderten das Gegentheil lehrt? 
Hundert und hundert, ja wohl tausend Glaubenözwei- 
fel sind durch diesen Zeitraum entstanden; welchen hat die 
Schrift für sich allein gehoben? Saget c6, ihr eifrigen An 
hänger mannichfalriger Religionöpartheyen! habt ihr euch 
bis jetzt, auch nur über einen einzigen Streitpunkt, mit 
Beyhülfe der Bibel unter euch verglichen? Ihr hegt ver 
schiedene Meynungen über die ehrwürdigste Person des Er 
lösers und desselben Gegenwart in dem heiligen Abendmahlc, 
über die Taufe, über die Zahl und das Wesen der Sakra 
mente, über die Freyheit des ^nenfchlichen Willens, über 
die vorher bestimmten göttlichen Rathschlüsse. Ihr 
beruft euch deßwegen alle aus die Schrift, als auf die ein 
zige Schiedörichtcrin; ihr zieht verschiedene Stellen heraus, 
die ihr behauptet klar und deutlich zu seyn, und ihr könnt 
dennoch nicht eins werden. Eure Handel sind noch immer 
beym Anfange, und vom Ende so weit entfernt, als die 
Zeit von der Ewigkeit, ausgenommen, ihr wollt t—- wie 
es unter euch beginnt Mode zu werden — weder das eine 
noch das andere glauben, und die nothwendigsten Religions 
wahrheiten in die Classe der gleichgültigen und eiteln Mn- 
schenmeynungen herabsetzen. Alödann wird freylich der 
Str?it augenblicklich geendigt, aber nicht vermöge eine- bi- 
Hirschen Ausspruche geendigt werden.
	        
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