Full text: Philosophie der Religion , 6 (06)

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Der Fehler — sagt ihr — besteht darin, weil man die 
Scbriftstellen nicht versteht, wie sie zu verstehen sind. Da 
zu werden weitlauftige Wissenschaft, gründliche Kenntniß 
der Ursprachen, unermüdekes Betrachten und Gegeneinan 
derhalten erfodcrt. 
Sey eö; aber ihr habt, ja unter euch und in einer je 
den Parthey erleuchtete Männer, denen eö an diesen ge 
lehrten Hülfsmitteln nicht mangelt. Warum sind eben die 
se die ersten, die hitzigsten, die unversöhnlichsten im Strei 
te? Warum vermag die Bibel nicht wenigstens zwischen 
ihnen den Frieden zu stiften? Ist dieses nicht ein klares 
Kennzeichen, daß die Religionsstreitigkeiten noch einer an 
dern Entscheidung bedürfen, um beygelegt zu werden? 
Ja! wie soll die Bibel entscheiden; und die entzweyten 
Gemüther zur Einigkeit zurückführen? Die Zweifel ent 
stehen meistentheilö auö ihr selbst. Eö wird über ihr Da 
seyn, über ihre Theile, über ihre Stellen, und über den 
Sinn ihrer Stellen disputirt. Sie redet nicht, erklärt, 
vertheidigt sich nicht selbst. Sie laßt sich von Jedermann 
drehen und auslegen, wie eö seinem Eigensinne beliebt, der 
sie unrecht versteht; so giebt sie auch im Gegentheile recht 
verstanden, kein Zeichen des Beyfalls. Hundertmal hinter 
einander gefragt, sagt sie weder mehr noch weniger, als 
was sie anfangs gesagt hat, kein Wörtchen, kein Pünkt 
chen, kein Strichelchen setzt sie hinzu. Daö erste Wort, 
worüber sich der Streit erregt hat, bleibt immer auch das 
letzte, worüber sich derselbe verewigt. Und daher findet 
stets ein listiger, und in Sophistereyen geübter Kopf etwas 
darinnen, womit er sich schützen, und auf seine Gegner 
Ausfalle wagen kann. 
Laßt uns tiefer eindringen. In der göttlichen Schrift 
sind Buchstab und Sinn, wie beym Menschen Leib und 
Seele. Beydeö ist wohl zu betrachten, beydes genau von 
einander zu unterscheiden. Sollte ihr das Amt eines 
Schiedsrichters anvertraut seyn, so müßten die Entschei 
dungen, entweder nach dem Buchstaben, oder nach dem 
Sinne geschehen; aber weder dieses, noch jenes läßt sich 
denken.
	        
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