Full text: Philosophie der Religion , 6 (06)

Der Richter, den wir suchen, ist weder die natürliche 
Vernunft, sie mag durch philosophische, kritische, politische 
Wissenschaften wie immer aufgeklaret seyn, noch der be 
schriebene Privatgeist, noch der weltliche Fürst, weil keiner 
aus ihnen die gehörige Vollmacht aufzuweisen hat. 
Wer also? — 
Wer? die Kirche. Denn warum befiehlt uns der Er 
löser die Kirche zu hören, und alle die, welche eö nicht 
thun wollen, so zu verabscheuen, wie vormahls die Heiden 
und Zöllner, das ist, die Ungläubigen und offenbaren 
Sünder, von den Juden verabscheut wurden *)? Müssen 
wir die Kirche hören? Nun! so hat sit das Recht zu spre 
chen. Verdienen wir im widrigen Falle, wie die Ungläu 
bigen behandelt zu werden? Nun! so hat sie auch das Recht 
in den Glaubenssachcn zu sprechen. 
Aber der Ausspruch der Kirche, soll er aus den Auö- 
sprüchen aller einzelnen Glieder derselben — sammt oder 
sonders — bestehen? Die christlichen Gemeinen, welche 
anfiengen das erste in Uebung zu bringen, erfuhren bald 
davon den Unfug, ja das Umnögliche. Und das zweyte 
räumte wieder einem jeden Privaten die Freyheit ein, sich 
nach seinem Eigensinne ein Glaubenssystem zu schmieden. 
Wenn ich sage, der Staat hat die Macht Gesetze zu ma 
chen, und sie zu erklären, ist Nieinand so dumm, daß er 
diese Macht einem jeden einzelnen Bürger des Staates zu- 
muthe. Und der Regent würde sehr widersinnig handeln, 
wenn er die Auslegung der Gesetze der Willkühr seiner Unter 
thanen überließe, weil er damit einen jeden zum Richter m 
seinem eigenen Handel bestellte, und so die öffentliche Ruhe 
und Einigkeit, die Sicherheit und Gerechtigkeit ans seinem 
Gebiete verbannte. Also auch folgt aus der richterlichen 
Gewalt der Kirche nicht, daß alle einzelnen Glieder dersel 
ben daran Thcrl nehmen sollen, und daß ihnen allen der 
weiseste Stifter die Auslegung der Schrift, die Bestim 
mung der göttlichen Ueberlieferungen, mzd die Schlichtung 
der Rcligionshändel überlassen hat. 
*) Matth, ig. 17. 
lkhilos. d« Rtligivn 6. BaaL. J.i
	        
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