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Diese so natürliche, so ungezwungene, den grammati
schen Grundsätzen so angemessene, und folglich so richtige
Auslegung der Worte des Erlösers, worüber wir jetzt eine
kurze Betrachtung angestellt haben, wird noch zum Ueber-
fiuße von den nächst darauf folgenden ungemein bestätigt.
Es ist schon bewiesen, daß der Fels und die Schlüs
sel, diese zween verblümten Ausdrücke, e^en denselben Ge
genstand, die höchste Gewalt bedeuten. Diejenige einzelne
Person also, welche die Schlüssel bekommen wird, ist auch
jener Fels, worauf die Kirche wird gebauet werden. Nun
wem werden die Schlüssel versprochen? — Haben wir Acht
auf daö Bindewort und, und auf das persönliche Fürwort
dir, so verschwindet aller Zweifel. „Simon, du Sohn
des Jona! du bist ein Fels, und dir werde ich die
Schlüssel des Himmelreichs geben." Rede ich dunkel oder
zweifelhaft, wenn ichfage: „Kleon! du bist ein Philosoph,
und dir werde ich meine Schriften zur Beurtheilung übergeben?"
Ja! sagt man, dem Sohne des Jona werden die
Schlüssel versprochen; aber nicht für seine Person, sondern
für die ganze Kirche, deren Stelle er jetzt vertritt.
Unbefugter Machtspruch! Wer har ihn an diese Stelle
gesetzt? wer zum Abgesandten der Kirche bestellt? Wun
derbar! Der Herr will erst auf ihn, wie auf einen Felsen,
die Kirche erbauen, und er steht schon da, alö ein Abge
sandter derselben Kirche!
Dieses laßt sich erklären, fährt man fort. Die Kirche
besteht schon in den Aposteln; und weil die Frage an alle
gerichtet wird: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?"
so antwortet Petrus an ihrer aller statt: „Du bist
Christus, der Sohn des lebendigen Gottes."
Der Einfall ist nicht glücklicher. Wie soll Petrus
im Namen aller seiner Collegen annvorren, da er zuvor
weder die Vollmacht empfangen hat, noch weiß, was sie
denken, oder was sie sagen wollen? Richtiger. Er allein
wird- von oben herab erleuchtet, und bekennt mit lauter
Stinime die Gottheit ihres allgemeinen Lehrmeisters. Die
übrigen schweigen, anfangs ungewiß, was zu reden wäre;