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einmal ein junger, fröhlicher Mensch gewesen! . . . Nun
kamen wir an die Stelle, wo mir gestern der unheimliche
Fremde in den Weg getreten war. Ein kleines Anwesen
lag da an der Wegkreuzung. Ein niedriges Bauernhaus
mit einem verwahrlosten Garten. Am Zaun lehnte ein
bärtiger Kerl und grinste uns an. „Wolle Se mei Frau
sehe? Hinne liegt se uf der Bank. Sie isch scho b'sosfe.
Wemmer nor g'sund isch und lebt!" Wir hasteten weiter.
Hinter uns her lachte er greulich. Endlich hatten wir unsere
Fassung wieder; aber Mutter stützte sich immer schwerer
auf mich. „Kannst du noch?" fragte sie schluckend. In
kürzeren Abständen mußten wir stehenbleiben. Da hörten
wir junge Stimmen. Knaben, die uns entgegenkamen,
fangen zweistimmig ein Liedchen: „Alle Vögel sind schon
da, alle Vögel, alle." Sie hatten Botanisiertrommeln um
gehängt und marschierten im Gleichschritt. Es klang so
fröhlich. Aber Mutter setzte sich plötzlich aus einen Prell
stein an der Straße und senkte das Gesicht in die Hände
und weinte. Die Schar zog vorüber; es sah keines weiter
nach uns hin. „Ach, was haft du denn?" fragte ich traurig,
fast verzweifelt. „So - ist er gestern - auch ausgezogen!"
sagte Mutter. Dann zwang sie sich und lachte und wischte
die Tränen ab. „Nichts Vater sagen - gelt?" Es war das
erstemal, daß ich Mutter hatte weinen sehen.
Hugo konnte erst am dritten Tage heimgebracht werden.
Der Wagen mußte im Schritt fahren. In Kissen gebettet
lag er da, wachsbleich und regungslos. Erft am Schluß
der Woche erwachte er. Jahrelang noch litt er.
Schonend, zögernd, beschwichtigend brachte Mutter es
ihrem „großen Kinde" bei, daß Hugos Unfall doch etwas
schwerer war - beileibe nicht gefährlich. Grausame Über
windung kostete sie's, die nicht weniger litt als Vater, die