Full text: Gottgesandte Wechselwinde

Zo6 
dachte, fürchtete, hoffte und vorbereitete, als draußen bei 
Ronchin die ersten deutfchen Spähtruppen sich gezeigt 
hatten. Eine Nummer des Echo du Nord sollte kurz vor der 
Erstürmung der Stadt durch unfer 18. Armeekorps in 
Druck gehen - wir fanden aber nur noch die Bürstenabzüge 
in dem von den Fliehenden zerstörten Setzerfaal vor. Der 
Granatentreffer, den die Mairiefront zwischen dem Markt 
halleneingang und dem Tor der Druckerei aufwies, schien bei 
der Bevölkerung das allergrößte Entsetzen ausgelöst zu haben. 
Im Verlauf der Jahre hatte sich die Stimmung der 
Einwohner selbstverständlich beruhigt. Die Kommandantur 
tat das Menschenmögliche, um den Unglücklichen beizu 
stehen. Vor allem sorgte sie, so schwierig dies hielt, für eine 
zureichende Ernährung besonders der ärmeren Volksschich 
ten. Die meisten Familien der gehobenen Kreise waren 
rechtzeitig gesiohen. Die Zurückgebliebenen, meist Frauen 
und Kinder, reiseunsähige Greise und Greisinnen, lebten still 
in ihren Mietwohnungen des Stadkinneren. Die Bewohner 
der kleinen Stadtpalais an den Boulevards zeigten sich fast 
nie auf der Straße. Dabei hätten sie nicht die geringste Be 
lästigung zu fürchten gehabt, denn der deutsche Soldat aller 
Massen, aller Rangstufen und aller Lebensalter benahm sich 
in dieser Festunggstadt von Anfang an durchaus korrekt. 
Aber noch im vierten Jahr begegnete ich eines frühen 
Morgens einer bis dahin nie gesehenen Familie, die ängst 
lich und scheu zur Messe in die Kathedrale ging: einer 
Mutter mit zwei Töchtern und einer älteren Magd. Sie 
waren alle sehr blaß, - wohl von der Stubenluft, vom 
Mangel an sportlicher Tätigkeit, überhaupt vom Mangel 
an jeder Bewegung im Freien. Und sie trugen noch die 
Mode vom Herbst igi4- Mit keinem Blick sahen sie vom 
Boden auf. Hernach erfuhr ich: es seien die Damen eines
	        
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