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dachte, fürchtete, hoffte und vorbereitete, als draußen bei
Ronchin die ersten deutfchen Spähtruppen sich gezeigt
hatten. Eine Nummer des Echo du Nord sollte kurz vor der
Erstürmung der Stadt durch unfer 18. Armeekorps in
Druck gehen - wir fanden aber nur noch die Bürstenabzüge
in dem von den Fliehenden zerstörten Setzerfaal vor. Der
Granatentreffer, den die Mairiefront zwischen dem Markt
halleneingang und dem Tor der Druckerei aufwies, schien bei
der Bevölkerung das allergrößte Entsetzen ausgelöst zu haben.
Im Verlauf der Jahre hatte sich die Stimmung der
Einwohner selbstverständlich beruhigt. Die Kommandantur
tat das Menschenmögliche, um den Unglücklichen beizu
stehen. Vor allem sorgte sie, so schwierig dies hielt, für eine
zureichende Ernährung besonders der ärmeren Volksschich
ten. Die meisten Familien der gehobenen Kreise waren
rechtzeitig gesiohen. Die Zurückgebliebenen, meist Frauen
und Kinder, reiseunsähige Greise und Greisinnen, lebten still
in ihren Mietwohnungen des Stadkinneren. Die Bewohner
der kleinen Stadtpalais an den Boulevards zeigten sich fast
nie auf der Straße. Dabei hätten sie nicht die geringste Be
lästigung zu fürchten gehabt, denn der deutsche Soldat aller
Massen, aller Rangstufen und aller Lebensalter benahm sich
in dieser Festunggstadt von Anfang an durchaus korrekt.
Aber noch im vierten Jahr begegnete ich eines frühen
Morgens einer bis dahin nie gesehenen Familie, die ängst
lich und scheu zur Messe in die Kathedrale ging: einer
Mutter mit zwei Töchtern und einer älteren Magd. Sie
waren alle sehr blaß, - wohl von der Stubenluft, vom
Mangel an sportlicher Tätigkeit, überhaupt vom Mangel
an jeder Bewegung im Freien. Und sie trugen noch die
Mode vom Herbst igi4- Mit keinem Blick sahen sie vom
Boden auf. Hernach erfuhr ich: es seien die Damen eines