Full text: Grundriß zur Vorlesung über Allgemeine Staatslehre und Politik

Richard Schmidt, Staatslehre 15. 
Gefolge und hörigen Bauern seit Anfang des 18. Jh. unver- 
mittelt und willkürlich durch Peter den Grossen und 
Katharina in einen absoluten Militär- und Beamtenstaat 
nach westlichem Muster übergeführt wurde, obwohl die im Westen 
vorhandne natürliche Grundlage eines solchen, — ein gewerbe- 
and handeltreibendes Stadtbürgertum — noch nicht ausgebildet war. 
Handel und Industrie werden erst uvachträglich zur Sustentierung 
les stehenden Heers künstlich geschaffen, zum "Teil zunächst 
lurch gewaltsame Verwendung leibeigner Bauern. In Verbindung 
hiermit beginnt deshalb in Ermanglung der Fähigkeit, mit dem 
Westen zu konkurrieren, das Streben nach Erwerb oder Er- 
schliessung grosser Absatzgebiete in dem minder zivilisierten 
Osten. (Persien, Transkaspien, Sibirien, Armenien etc.) Fort- 
yeführt bis zu Nikolaus I., wird diese Politik unter Alexander II, 
zu Gunsten neuer Reformen unterbrochen (Aufhebung der Leib- 
aigenschaft 1861, Vorbereitung von Reichsständen, Selbstverwaltung 
der „Semstwos“ etec.), aber durch Alexander III. wieder anuf- 
yzenommen (seit 1881 fortschreitende grosse Gebietserweiterungen 
anter Anlegung neuer Verkehrswege nach Osten, verbunden 
mit einer Steigerung der absoluten Beamten- und Regierungsgewalt 
(Verschiekungen, immer stärkere Einschränkung der provinziellen 
Rechte z. B. des Rechts, die Bezirksbeamten zu wählen). Die definitive 
Wirkung dieser Massregeln lässt sich zur Zeit nicht sicher be- 
rechnen, da vor allem nicht klar zu erkennen ist, ob die in erster 
Linie der Industrie dienende Politik zugleich auch der bäuer- 
lichen Bevölkerung zu Gute kommt oder deren. Ausbeutung und 
schliesslichen Ruin in die Hände arbeitet. 
Die Entwicklung der beiden Riesenstaaten und die Aus- 
bildung des russischen Absolutismus hat auch auf das Staatsleben 
der übrigen westeuropäischen und amerikanischen Staatenwelt 
bis zu gewissem Grade zurückgewirkt, — sowohl in der Art, dass 
sie auch bei ihnen — zuerst bei Frankreich (Algier, Tunis, 
Tonking, Madagaskar etec.), dann auch bei Deutschland, den 
Vereinigten Staaten etc, — das Streben zu neuen Gebiets- 
erweiterungyen, vor allem im wirtschaftlichen Interesse, hervor-
	        
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