Preussen ist, eine vollkommene Einheit erreichen. Um wie
viel wichtiger sind diese Erwägungen für Russland, das von
einer so grossen Anzahl verschiedenartiger Volkselemente
bevölkert ist!
Dass in der That den Ausnahmebestimmungen unserer
Gesetzgebung in Bezug auf die Juden keine nationalen Kigen-
heiten der letzteren zu Grunde liegen oder liegen kónnen,
beweist folgende einfache Thatsache. Ein Jude mit den
ausgeprägtesten typischen Eigenheiten braucht heute nur
seinen Glauben zu wechseln, um morgen als ein voll-
ständig gleichberechtigter Bürger aufzuwachen, dem niemand
mehr, wenigstens vom Rechtsstandpunkte aus, seine typischen
Stammeseigenheiten vorwerfen darf.
Als thatsächliches Motiv aller Beschränkungen der
Juden dienen nicht ihre nationalen Stammeseigenheiten,
sondern ihr Glaube, d. h. ihre Vorstellungen von Gott, die
nichts gemein haben mit den bürgerlichen Gesetzen. Auf
Schritt und Tritt stellen wir dem Juden die Frage nach
seiner Religion. Jedesmal, wenn materielle Vorteile einen
Juden jenseits des Zauberkreises der ihn einschränkenden
Gesetzesbestimmungen hinauslocken, hat er selbst die Frage
an sich zu stellen, ob er seinen religiösen Überzeugungen
treu. bleiben oder sie gegen materielle Vorteile aufgeben
will, die für ihn, wenn er seinen Glauben behält, unerreichbar
sind. Es stellt sich auf diese Weise heraus, dass, indem
wir einerseits alle möglichen Beschränkungen der bürger-
lichen Rechte der Juden in unserer Gesetzgebung zulassen,
wir andererseits zu gleicher Zeit die haarsträubendsten Ver-
letzungen des Princips der Toleranz dulden . .
Die Ausnahmebestimmungen gegen die Juden in unserer
Gesetzgebung verletzen nicht nur das Princip der Toleranz,
sondern, wie man dreist behaupten darf, mehr oder weniger
auch das allgemeine Princip des Rechts, Betrachten wir
die Sache einmal vom Gesichtspunkt jenes staatlichen Grund-
princips, das durch die kurzgefasste, aber vielsagende Formel:
„Gleiche Rechte, gleiche Pflichten“ ausgedrückt wird. Von
diesem Princip aus könnte man die Rechtsbeschränkungen
der Juden dann als zulässig gelten lassen, wenn zu gleicher
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