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Hinblick auf diese Erscheinungen sich in ihrer stupiden
Weise über das Princip der Gewissensfreiheit lustig zu
machen ... Statt die alten Wunden vernarben zu lassen, be-
mühen sie sich, neue Wunden hervorzurufen; statt eine
wirkliche Verschmelzung der Russen christlicher und jüdischer
Konfession, die von hoher Bedeutung für den Staat sein
würde, anzustreben, suchen sie eine unversöhnliche Feind-
schaft, deren verderbliche Folgen sich nicht voraussehen
lassen, zwischen, den Konfessionen zu erregen.
Und dies geschieht in einem Staate, in dem die Anor-
kennume des Princips der Gewissensfreiheit und der Unal-
hiingigkeit der bürgerlichen Gesetzgebung von den Kon-
fessionen als unumgängliche Notwendigkeit gefordert wird.
Wir sind in dieser Hinsicht noch sehr weit von der Auf-
fassung entfernt, die König Friedrich Wilhelm IL. in seinem
berühmten Reskript an den Staatsminister Wöllner vom
12. Januar 1798 so einfach zum Ausdruck brachte:
„Ich selber ehre die Religion, folge gern deren wohl-
thuenden Eingebungen und würde um nichts in der Welt über
ein Volk regieren, das keine Religion hat. Doch erkenne ich
andererseits an, dass die Religion eine Sache des Herzens, des
Gefühls und der persönlichen Überzeugung sein und bleiben
muss. Die Religion darf nicht, wenn sie Rechtschaffenheit
und Tugend fördern soll, durch systematische Anwendung
von Gewalt bis zur unsinnigen Nachäfferei herabgewürdigt
werden. Vernunft und Philosophie müssen die unzertrenn-
lichen Führer der Religion sein, dann wird sie auf eigenen
Füssen stehen können, ohne der Autorität derjenigen zu be-
dürfen, die sich erdreisten, den zukünftigen Jahrhunderten
und Generationen Vorschriften darüber aufzudrängen, wie
sie jederzeit zu denken haben .. “
Die vollkommene Religionsfreiheit entwickelte sich in
den verschiedenen Staaten Europas zum Teil unter dem
Einflusse eingeführter Ideen, zum "Teil aber auch unter
dem Einflusse und sogar unter dem Druck seitens an-
derer Staaten. Die ‚Anerkennung der Gleichberechtigung
der Katholiken in England, der Protestanten in Frankreich
u. g w. hat sich nicht ohne den Einfluss anderer katholi-
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