spruchnahme) ist nicht nur auf Informationsdefizite zurückzuführen® oder
als Skepsis gegenüber Neuerungen, hier arbeitspolitischen Innovationen, zu
interpretieren. Ebenso wie in der Zigarettenindustrie fehlten auch in der
chemischen Industrie die gelebten Erfahrungen mit der Regelung, es
fehlten die Beispiele von Kollegen, an denen die Regelung unmittelbar
erfahrbar wurde. "Es geht um die Frage, welche Informationen als glaub -—
würdig und handlungsrelevant betrachtet werden. Vor allem in der
Anlaufphase ist die Meinung ’der anderen’ wichtig. Eine besondere Rolle
spielen hierbei die sogenannten ’Meinungsführer’. Ihre Auffassung kann für
eine ganze Belegschaft handlungsleitend werden. Weiter ist wichtig, ob
man die Person kennt, die bereits gute Erfahrungen mit dem VR oder
ATZ gemacht hat. Solange es keine solchen gelebten Erfahrungen gibt,
die als Beispiele dienen, kann die Regelung in ihren konkreten Auswir —
kungen noch nicht eingeschätzt werden, und es ist Zurückhaltung zu
beobachten”®.
Was die im Vergleich zur Zigarettenindustrie relativ geringe Inan-
spruchnahme des GUR angeht, so muß dies vor dem Hintergrund der
anderen realisierbaren Verrentungsalternativen, insbesondere der Vorruhe —
stands — Regelung und betrieblichen Sozialplan - Regelungen gesehen wer —
den.
Ohne dem Teil fünf dieses Berichtes vorgreifen zu wollen, soll schon
hier darauf verwiesen werden, daß es insbesondere finanzielle Erwägungen
sind, die viele ältere Arbeitnehmer dazu veranlaßt haben, statt des GUR
den Vorruhestand zu wählen. Anders als in der Zigarettenindustrie, wo
der Arbeitnehmer im GUR genauso gestellt wird, als wenn er voll wei —
tergearbeitet hätte, erhält der GUR -— Arbeitnehmer in der chemischen
Industrie aber "nur" eine 70%ige Kompensationszahlung; ebenso wird das
Urlaubsgeld, die Jahresleistung sowie die vermögenswirksamen Leistungen
nur anteilig ausbezahlt. Bedenkt man zudem, daß in den ersten zwei
Jahren im Vorruhestand 36.000, - DM des Vorruhestandsgeldes praktisch
steuerfrei sind, stellt sich ein Arbeitnehmer im Vorruhestand finanziell
häufig nicht viel schlechter, als wenn er den GÜR in Anspruch genommen
hätte. Altere Arbeitnehmer sind folglich häufig nicht bereit, "für das
bißchen mehr Geld, noch 20 Stunden zu arbeiten". Zudem veranlassen
Kohli, M. u.a. (1988), S. 138 haben festgestellt, daß einige der von ihnen befragten
Interviewpartner in der chemischen Industrie nicht einmal wußten, daß es die Mög —
lichkeit einer Alters — Teilzeitarbeit gibt.
Kohli, M. u.a. (1988), S. 61.
Allerdings weist die Prognos AG (1986, S. 168ff) darauf hin, daß das Argument, der
Unterschied zwischen dem Entgelt im GÜR und im Vorruhestand sei zu gering,
nicht so bedeutend sein könne. Sie verweisen dabei auf das Indiz, daß nur wenige
Anspruchsberechtigte sich tatsächlich die finanziellen Auswirkungen ihrer Entschei-
dung haben ausrechnen lassen.
na