Full text: Das Tragische: die Erkenntnisse der griechischen Tragödie

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6 Baden 
Wenn die Qual der Kreatur am größten ist, dann flackert ihr 
Todeswille auf gleich einer Flamme, die nichts mehr dämpft. Nicht 
mehr sein, nichts mehr fühlen, denken. 0 samtener Rausch des 
Nichts, wo der Mensch von dem befreit ist, was ihn zu bedrängen 
und zu beunruhigen, zu entsetzen nie aufhören wird: von sich 
selbst und seiner währenden Sorge! 
Da sind bei Aischylos die Scium,flehenden, die hilflosen Mädchen, 
welche sich vor der Brunst und Gewalt der Aigyptos-Söhne auf der 
Flucht befinden. Sie wissen nicht mehr, wohin; ob ihnen Schilt; 
gewährt wird, ist fraglich, und schon sind die Verfolger mit ihren 
farbigen Kriegern im Anmarsch. Könnte man sich doch ver 
flüchtigen, auflösen ins Nichts, um dem Schicksal zu entgehen, das 
droht. Der Chor der Dienerinnen klagt: »0 würd’ ich doch zu 
schwarzem Rauch, Nächste den Wolken des Zeus; / Unscheinbar 
ganz, unsichtbar ganz flog’ ich empor, / Ungefittigt, wie Staub, 
und wäre dahin.« Sich in die Tiefe stürzen von der Klippe, vom 
unwirtlichen Fels: wär’ es nicht tausendmal besser als dies ver 
haßte Los zu erdulden? Mag der Leib dann auch Hunden zum 
Fraß, Raubvögeln zur Atmung dienen; was verschlägt es? »Ist 
doch der Tod mir ein Erlöser aus Jammer und Not.« — Ähn 
liches erfleht der Chor in der aischyleischen Orestie. Agamemnon, 
der Flerr, ist tot, gemeuchelt durch ein Weib, er, der schon um 
eines Weibes willen seine besten Jahre vor Ilion verlor; was bietet 
das Leben noch? Käme doch bald der Tod und machte ein Ende, 
nicht schmerzhaft, sondern still und leicht, ein »nimmermehr 
endender Schlaf«. Das müde Herz, das so vieles sah, so vieles 
erlitt, es begehrt nichts mehr als: schlafen . . . 
Ähnlich geht es dem sophokleischen Aias, der, von Pallas in Um 
nachtung gestoßen, unschuldige Schafe meuchelte; nun da das 
Dunkel von ihm weicht, sieht er keine Möglichkeit mehr, weiterzu- 
leben. Ergreifend seine Klage: »0 Nacht, / Du mein schönstes 
Licht, / O Grab, du süße Todesgruft, winkst du mir? / O nimm 
den Müden auf, nimm mich auf!«; Erbarmen, wimmert er, aber 
er meint keinen Gott, sondern er meint den Tod. Der Tod selbst 
erscheint als Gottheit, als liebende helfende Macht, die den Schleier 
der Nacht über alles menschliche Elend deckt. — In der gleichen 
Lage befindet sich Elektra. Der Vater im Bad gemordet, der Bru 
der in der Ferne, vielleicht längst tot, die Mutter sie mit ihrem 
Haß täglich verfolgend und wie eine Magd behandelnd: das Leben 
ist nicht mehr lebenswert. Wieder entfaltet sich die dunkle Blume 
der Todessehnsucht, alle Inbrunst gilt ihm, dem Tod, der befreit, 
indem er auslöscht: »Lieber jet;t den Tod, als dieses Elendsleben 
ohne Licht und Trost.« Als sie die Urne in Händen hält, welche 
angeblich die Asghe des Bruders birgt,, des einzigen, der helfen 
könnte, da steigt die Verzweiflung zum Crescendo: >0 nimm 
mich auf in diesen engen Raum zu dir, / Damit ich, Staub beim
	        
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