Full text: Das Tragische: die Erkenntnisse der griechischen Tragödie

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Und in dem Drama, in dessen Mitte Hekabe stellt, die Priamos- 
Witwe, welche, ungeachtet sie fast alles verloren hat, unter immer 
neuen Schmerz-Streichen zusammenzuckt — in dem Drama 
»Troerinnen« findet sich das kurze und doch inhaltschwere Wort: 
»Der Tod war Gnade.« Das ist das Ende aller Mythologie und 
Theologie, aber ebenso aller Lebensbesessenheit; keine Ewigkeit 
wird ersehnt, aber auch des Diesseits ist man müde, unwiderruf 
lich müde. Wieder steht er da,. der dunkle Freund, schillernd in 
zahllosen Verhüllungen und doch immer derselbe, der Freund, 
dem die Menschenseele entgegenschlägt, um in seinen Armen sich 
selbst für immer zu vergessen. 
Das Leben enttäuscht, aber voll brausender Verlockung j^t nur 
einer: der Tod. Die Toten, sagt Euripides, weinen nicht mehr. 
Und anderswo: das Dasein ekelt, aber der Tod ist sanft, klar und 
endgültig. 
Ihren lebten Ausdruck jedoch hat die tragische Todessehnsucht, in 
der sich das Leben selbst aufheben will, in zwei aischyleischen 
Fragmenten gefunden. In dem einen heißt es, es sei Unrecht, daß 
die Sterblichen den Tod hassen, denn keiner hindere wie er das 
viele Weh. Der Tod ist gewissermaßen das einzige Heilmittel, das 
immer verfängt. Im andern Fragment aber wird die Erkenntnis 
ausgesprochen, die je und je die leidende Menschenseele mit Ent- 
se^en erfüllte, die Erkenntnis, daß man für dies Leben nicht dan 
ken, sondern daß man es verfluchen solle, da der Eingang darein 
ein Eingang sei ins unaufhebbare Leid: 
•»Ich zieh’ den Tod mühsel’gem Leben vor. Garnicht 
Geboren sein ist besser als entstanden sein, 
Nur um zu leiden . . .« 
DAS MENSCHLICHE 
Das Menschliche — was verstehen wir darunter? Es handelt sich 
um gewisse kleine Züge, die im bisherigen Porträt der tragischen 
Existenz noch nicht zur Geltung kamen. Züge, welchen wir sonst 
keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken pflegen, sondern von 
denen wir zusammenfassend etwa die Redensart gebrauchen: dies 
gehört »eben zum Menschen dazu«. Mängel, auf’s Ganze gesehen, 
gemessen an den Problemen der Schuld, Liebe, des Todes ohne 
Bedeutung, und doch, für sich genommen, voll immer neuer Ge 
fahr für den Menschen. Der tragische Kern menschlichen Exi- 
stierens erhellt nicht nur aus großen Ereignissen, sondern auch 
und gerade aus den Nebensächlichkeiten. Im Vorbeistreifen, in 
der völlig unproblematischen Betrachtung des Menschlichen wer 
den wir auf einmal zusammenzuckend gewahr: hier liegen Un
	        
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