85
zeitweise keinen direkten Grund, zur Unzufriedenheit bieten: der
Vergleich mit den Umständen anderer zwingt immer wieder zu
der Einsicht, daß man selbst von den Göttern verworfen ist.
Für den Menschen, welcher so, sich, selbst zu Lust und Leide, die
eigene Perspektive in den Mittelpunkt der Welt rückt, gibt es nur
ein Gesetz: das Gesetz des Erfolges. Erfolg haben, das heißt, dem
Ich immer wieder jene Triumphe verschaffen, die es begehrt.
Diese Triumphe pflegen zur Voraussetzung zu haben, daß es Be
siegte gibt; Erfolg ist immer Erfolg über andere. Für die Jagd
nach dem Erfolg spielt clie Rücksicht auf Sitte, Recht, Gesetz nicht
die mindeste Rolle. Im Gegenteil: Rücksicht, Verantwortlichkeit
bedeuten den Tod des Erfolges. Die Schwester des Erfolges ist
die Brutalität, mit der alles niedergeknüppelt wird, was den Erfolg
gefährden könnte. Der Erfolg sanktioniert' sich selbst, er bedarf
keiner weiteren Bestätigung von außen. Es ist schon so, wie
Aischylos sagt: die Ehrfurcht schwindet in der Welt, denn sie ist,
vom Gesichtspunkt des Einzelnen aus gesehen, in keiner Weise
produktiv, sondern nur ein Hemmnis. An die Stelle der Ehrfurcht
tritt der Kult des Erfolges: »Jetjt ist’s der Erfolg, / Der gilt als
Gott bei den Menschen und für mehr als Gott.« — Man irrt auch,
wenn man glaubt, Klugheit sei jene geistige Haltung, welche sich
an den großen objektiven Gesehen orientiert. 0 nein, wer seine
Handlungen am Objektiven ausrichtet, ohne des eigenen Nutzens
oder Schadens Erwägung zu tun, der ist von Klugheit sehr weit
entfernt. Das Kriterium der Klugheit ist ein anderes: »Der Klug
heit Maßstab ist ja der Erfolg« (Euripides).
Die Unausrottbarkeit des Egoismus und die Vergötterung des Er
folges, sie kennzeichnen besser als vieles die elementare Tragik
des Menschseins. Und dazu kommt nun als drittes die These, daß
der Zweck die Mittel heilige.
Das konnte nicht ausbleiben; um Erfolg zu haben, muß nach
gerade jedes Mittel recht sein, denn mit dem Erfolge steht und
fällt ja die Existenz. Wer wird also Mittel verschmähen, welche
zur Selbsterhaltung dienen, selbst gesetzt den Fall, daß diese Mit
tel unschön und unpassend sind? Als Meister der Taktik erscheint
den Hellenen immer wieder Odysseus; und so wird er denn
auch bei Sophokles geschildert. Dem jungen Neoptolemos, der
dumm ist vor Tugendhaftigkeit, stellt Odysseus mit schmeicheln
den Worten vor: »Nun weiß ich wohl, mein Lieber, daß dein
grader Sinn / Den krummen Weg verachtet und das falsche Spiel;
/ Indessen hold und lieblich winkt des Sieges Lohn. / Drum
frisch gewagt! Nur eine Stunde folge mit / Und weiche von dem
graden Weg der Tugend ab; / Dann wollen wir auch einmal
wieder wahr und ehrlich sein, / Und deine reine Tugend, deine
Lauterkeit' / Soll hoch gepriesen werdeti bis in Ewigkeit.« Bald
hernach entspinnt sich folgende klassische Wechselrede: Neopto-