Full text: Pädagogische Psychologie

8 22. Die Werttypen der Erzieher. 229 
Schulung sich erworben hat. Jedenfalls ist er von allen Wert- 
typen derjenige, der am meisten in Gefahr schwebt, seine Schüler 
nicht eigentlich durchzubilden, nicht ganz von innen heraus zu 
bilden, sondern ihnen mehr äußerlich etwas. anzubilden, in 
sie hineinzudozieren und ihren Wissensdurst zu stillen, statt 
ihn zu wecken und sie zur selbständigen Befriedigung zu be- 
fähigen. Die Einseitigkeit des Wissenschaftlers wird leider durch 
eine außerordentlich nahe liegende und nur schwer umzugestal- 
tende Art der Revision noch gefördert. Wissenschaftliches 
Denken, mehr noch freilich positives Wissen der Schüler ist 
der Kontrolle leicht zugänglich, Kunstverständnis und ethische 
Gesinnung, Charakterstärke und echte Religiosität aber kaum; 
sie liegen viel zu tief in der Seele des Erziehers wie der Zög- 
linge und eignen sich für jene Art der Schaustellung;. wie‘ sie 
mit der Revision gegeben ist, schlechterdings. nicht. 
2. Der Erziehertypus des Ästheten ist innerhalb der Literatur 
seit der Bewegung der Kunsterziehung in den letzten Jahren 
deutlicher hervorgetreten. Diesem Typus schwebt bei der Er- 
ziehungsarbeit die Kunst vor Augen, Die Erziehung zum Kunst- 
genuß und womöglich zum künstlerischen Schaffen. steht im 
Mittelpunkte seines Interesses; Die eigentlich künstlerische Be- 
tätigung, sei es die schöpferische, sei es die nachschaffende, 
nimmt er gern zum Vorbild für seine gesamte Tätigkeit als Er- 
zieher und Lehrer; die: Seele des Kindes möchte er formen,.wie 
der‘ Bildhauer den toten Stein zum lebensvollen‘ Gebilde ge- 
staltet, ein Gedanke, der ihn leicht dazu verführt, die Tragweite 
der Erziehung zu überschätzen und die Besonderheit und Spon- 
taneität des einzelnen Kindes zu gering zu achten. Nicht selten 
neigt er dazu, die anderen unbedingten. Erziehungswerte auf 
Kosten des Schönen herabzusetzen oder sie darin aufgehen zu 
lassen. Die blassen Abstraktionen der Wissenschaft verschmäht 
er, die Kunst führt nach ihm näher an das Leben heran, macht 
uns besser vertraut mit der Wirklichkeit als die Wissenschaft, 
die er zur vollen Erfassung des unabsehbar vielgestaltigen 
Lebens nicht für hinreichend hält. So erscheint ihm die Kunst 
als der Wissenschaft überlegen, weil sie uns unmittelbar zur 
Wahrheit führt oder die Wahrheitserkenntnis erst ermöglicht, 
wie das Schillers Worte ausdrücken: 
„Nur durch das Morgentor des Schönen 
Kommst du in der Erkenntnis Land“
	        
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