8 22. Die Werttypen der Erzieher. 231
bedenklicher als das der anderen, weil das freie Spiel der Kräfte,
wie es der Kunst eigen ist, die Seele zwar sehr bereichert und
belebt, aber ihr nicht jenen festen Mittelpunkt, jenen sicheren
Halt zu geben vermag, ohne den eine charakterfeste Persönlich-
keit undenkbar ist, und doch erscheint jene nur im ‘eigentlichen
Wollen liegende Kraft der Konzentration um so notwendiger, je
reicher und empfänglicher das Innenleben ist. So kann ein ver-
hängnisvolles Fehlen der Folgerichtigkeit im Denken und Han-
deln des Zöglings das bedauerliche Ergebnis einer Erziehungs-
arbeit sein, die durch den Mangel an streng pädagogischem Ziel-
bewußtsein,. durch mehr Stimmung als Gesinnung gekenn-
zeichnet war. Der Ästhet macht seine Zöglinge selbst zum
Gegenstand der künstlerischen Betrachtung und braucht daher
mehr Anstrengung als der gewöhnliche Erzieher, um sich nicht
durch körperliche Schönheit und geschmackvolle Kleidung oder
auch durch originelle Einfälle, durch eine Art Kokettieren älterer
Schüler und namentlich Schülerinnen einfangen zu lassen und
in der‘ Beurteilung und Behandlung der Kinder ungerecht zu
werden. Freilich pflegt sich die Abneigung gegen häßliche
oder „uninteressante“. Kinder im Unterricht selbst nur selten
zu zeigen; denn über diesem liegt in der Regel eine gehobene
Stimmung, eine weihevolle Art, die großen Ärger über schlechte
Leistungen überhaupt kaum aufkommen läßt, zumal der Ästhet
in seiner lebhaften Weise mit Vorliebe nur diejenigen Schüler
herannimmt, die sich melden, sich selbst gern sprechen hört und
die deutlich hervortretende Anteilnahme der Schüler seinem
Herzen außerordentlich wohltut. Schlimm steht es meistens mit
den schriftlichen Arbeiten, gegen Korrekturen hat er einen fast
unüberwindlichen Widerwillen. Bei den Aufsätzen pflegt er mehr
auf blütenreichen Stil, auf poetische Wendungen und Stimmungs-
gehalt als auf logische Gedankenverbindung zu sehen; et ver-
zeiht oder übersieht leichter Abschweifungen vom Thema, wenn
oder weil sie von einer gewissen dramatischen Lebendigkeit
zeugen. Durch seine ‘Art des Unterrichts leitet er weniger zu
streng logischem Denken an, weckt aber spielend leicht alle
Arten von Gefühlen bei den Schülern und erschließt ihnen wie
kein anderer das Verständnis für menschliches Wesen. Für die
Vorbereitung der Schüler auf Prüfungen pflegt er der ungeeig-
netste von allen zu sein. Bisweilen hat er etwas vom Schau-
spieler an sich, übt eine Art Darstellung seiner eigenen Persön-