Full text: Pädagogische Psychologie

232 IL Teil. Allgemeine pädagogische Psychologie, 
lichkeit im Unterricht, lebt gewissermaßen seinen Schülern die 
Gefühle vor, die in poetischen Werken zum Ausdruck kommen, 
und kokettiert wohl gar bisweilen mit dieser Fähigkeit, Zum 
Glück handelt es sich bei ihm meistens um wirkliche Affekte, 
die durch den ‚behandelten Stoff ausgelöst werden. Aber auch 
die Affektation macht leider nicht vor derSchultüre halt und ent- 
weiht durch die ihr innewohnende Unwahrhaftigkeit die Er- 
ziehung, Die Kinder mit gesundem, natürlichem Empfinden 
fühlen sich durch solches Gebahren des Lehrers abgestoßen, 
und trägt er, was ausnahmsweise auch vorkommt, die Affektation 
gar an Stoffe heran, die dafür keinerlei Anknüpfungspunkte 
bieten wie Grammatik oder Mathematik, so verfällt er bei den 
Schülern’ der verdienten Lächerlichkeit. In der Regel freilich hat 
er gegen Fächer und Stoffe dieser Art Abneigung und zeigt eine 
ausgesprochene Vorliebe für die sogenannten ethischen Fächer 
wie Religion, Deutsch und Geschichte. Sie behandelt er dra- 
matisch und gefühlvoll, greift dabei gern jene Stoffe heraus, 
die sich einer ästhetischen Behandlung gut fügen, und läßt die 
anderen links liegen oder tut sie kurz ab. In Geschichte ist er der 
gewandte Darsteller, der durch seinen lebendigen und auschau- 
lichen Vortrag mit so sicherem Erfolge in andere Zeiten hinein- 
versetzt, daß sie. dabei alles um sich her vergessen. So wird er 
der ‚wichtigsten .Seite- des. Geschichtsunterrichtes. gerecht, die 
diesen der Jugend so anziehend macht. Dagegen hat er weniger 
Interesse daran, die Schüler, wie es wohl auf der Oberstufe 
höherer Lehranstalten wünschenswert ist, einen Blick in die 
historische Forschung tun zu lassen. Seine Hauptstärke liegt 
in der kunstgemäßen Behandlung von poetischen Werken. Die 
Herausarbeitung des psychologischen Gehalts zeigt‘ seine 
Meisterschaft, in die Gefahr einer schulmeisterlichen Behand- 
lung von Gedichten kommt er nicht. Die Grammatik behandelt 
er nicht gern nach ihrer formalen Seite, sondern treibt dabei 
lieber Sprachpsychologie, indem er z. B. gern auf den Ursprung 
der Worte und der Redeweisen, auf die Gründe für den Bedeu- 
tungs- und den Formenwandel der Worte, auf den Gefühlswert 
einzelner Ausdrücke eingeht. 
3. Da man den sittlichen Charakter gewöhnlich als das Haupt- 
ziel der Erziehung betrachtet, wird man dazu neigen, unter den 
Werttypen. der Erzieher über den Wissenschaftler und den 
Ästheten ‚jenen zu. stellen, in dem das sittliche Wollen die
	        
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