Full text: Pädagogische Psychologie

$ 22. Die Werttypen der Erzieher. 233 
Vor- oder gar Alleinherrschaft hat. Beim Lehrer denken wir 
mit Vorliebe an den Wissenschaftler und beim Erzieher im 
engeren Sinne an den ausgeprägt sittlichen Menschen, den wir 
früher als Aszete n bezeichnet haben, während die zeitgenössi- 
sche Pädagogik bei ihrem Festhalten an der Zweiteilung der Er- 
ziehungsarbeit in Unterricht und Erziehung dem Ästheten keinen 
besonderen Platz zuzuweisen vermag. Zweifellos steht der Aszet 
als Mensch über dem Wissenschaftler und erst recht über dem 
Ästheten. Aber auch als Erzieher verdient er den Vorzug, frei- 
lich nur dann, wenn er auf das eigentümlich Erzieherische in 
besonderer Weise Rücksicht nimmt, eine Bedingung, die der 
Ästhet von Natur aus leichter erfüllt. Der große Vorzug des 
Aszeten liegt darin, daß er mit festen sittlichen Grundsätzen an 
die Erziehungsaufgabe herantritt und diese Grundsätze mit 
Ernst und Eifer durchführt. Im Unterschied vom Ästheten läßt 
er sich in der Behandlung der Kinder nicht leicht von Stim- 
mungen leiten und. hält sich. darum sicherer von Ungerechtig- 
keiten. frei. Nicht die Neigung bestimmt sein Verhalten zum 
einzelnen Kinde, sondern das Pflichtbewußtsein, und schon 
Kinder haben ein sicheres Urteil über diese Seite im Charakter 
des Erziehers und wissen sie zu schätzen. Aber leicht _haftet 
diesem Typus..etwas Hartes und ‚Herbes-..an,... das _ihm das 
Kindesherz verschließt. oder entfremdet. Auf die Dauer werden 
die: Kinder nur. durch Freude und. Freundlichkeit: gewonnen, 
der Aszet neigt aber zu Ernst und Strenge. So verkennt er 
leicht die Kindesnatur und’ verurteilt sie. Der großen Bedeu- 
tung ‘des, Spieles für die Entwicklung des Menschen vermag 
er in der Regel nicht einmal entfernt gerecht zu werden; er 
möchte es nach Möglichkeit einschränken, wenn -nicht gar 
schon in frühen Jahren gänzlich abschaffen. Für Leibes- 
pflege, für Baden und Schlittschuhlaufen oder gar für einen 
mäßig betriebenen Sport der Zöglinge ist er kaum zu gewinnen. 
Das kleine Körnchen Wahrheit, das dem Satze zugrunde liegt: 
„Jugend. hat keine Tugend“, kann er schlechterdings nicht 
finden. Unter solchen Umständen stößt er leicht die Jugend ab 
und diese ihn. Während sich dem Ästheten wegen seiner Frische 
und Lebendigkeit das Kindesgemüt leicht erschließt, ist die 
Abgestorbenheit des Aszeten gegenüber den Freuden der Welt 
dazu angetan, eine Kluft zwischen Erzieher und Zögling zıt 
schaffen. Kommt es doch diesem Typus wie eine Entweihung
	        
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