Bismarcks Politik als Ganzes
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französischen, Italien den Österreichern gegen einen russischen Angriff
zu helfen nicht verbunden, solange keine andere Macht diesen Feinden
beisprang. Bei der Erneuerung von 1887 kam der schon erwähnte
österreich-italienische Kompensationsvertrag bezüglich des Balkans hin
zu, außerdem aber noch ein deutsch-italienisches Abkommen von etwas
eingeschränkterer Formulierung, das zugleich die Ausdehnung der fran
zösischen Herrschaft auf Tripolis oder Marokko als Bündnisfall für
Deutschland festlegte.
Die ganze Politik Bismarcks in seinen letzten Jahren war ein wohl
durchdachtes System mit ganz einfachen Zielen und Grundgedanken,
aber oft sehr komplizierten Mitteln der Durchführung. Was, aus der
Situation des Augenblicks beurteilt, als ein schwieriges und verwickeltes
diplomatisches Spiel, auf momentane Wirkungen und kurzes Hinhalten
berechnet erscheinen konnte, war im Grunde nur die geschickte und
den Erfordernissen der jeweiligen Lage mit äußerster Klugheit ange
paßte Durchführung großer, den Interessen Deutschlands und des
Weltfriedens entsprechender Gesichtspunkte. Immer stand ihm bei
jeder Einzelentscheidung die Rücksicht auf die Gesamtlage, auf die
allgemeine Gruppierung der Mächte, und deren Rückwirkung auf
Deutschland in erster Linie, über jedem Haschen nach augenblicklichen
kleinen Vorteilen und Gewinnen. Denn er wußte, daß Deutschlands
Sicherheit und Zukunft nicht von irgendeinem kleinen Zuwachs an Land
oder Einflußgebiet abhing, sondern von der Möglichkeit, die Bildung
einer übermächtigen Koalition aller den Aufstieg der neuen Großmacht
neidisch betrachtenden Nachbarn dauernd zu verhindern.
Wenn Bismarck von dem „cauchemar des coalitions“ gequält wurde,
wenn er stets von dem Schreckgespenst einer uns isolierenden Grup
pierung der Mächte verfolgt ward, so liegt der Grund dafür in seiner
Gesamtauffassung der Lage und der Machtmittel Deutschlands. Er,
der unter den größten Schwierigkeiten und Gefahren die Einigung
Deutschlands zustandegebracht hatte, wußte sehr genau, wie stark
gefährdet unsere neu errungene Weltstellung immer noch war. Wohl
waren wir jedem einzelnen Gegner gewachsen; aber darüber täuschte
sich Bismarck keinen Augenblick, daß ein Krieg gegen mehrere Geg
ner an verschiedenen Fronten zugleich für uns einen Kampf um unsere
ganze Existenz mit völlig ungewissem Ausgang bedeuten würde. Darum
operierte er mit äußerster Vorsicht und verfolgte gespannt die bestän
digen Veränderungen der Weltlage; und darum hielt er die Bewahrung
des Friedens für das oberste Interesse Deutschlands. Sie ist ihm
unter oft schwierigen Verhältnissen schließlich immer wieder gelungen,
nicht durch Glück oder Zufall, sondern durch eine weitschauende, vor
sichtige, uneigennützige und den wechselnden Lagen virtuos sich an
passende Politik. Man braucht nur in den belgischen Gesandtschafts
berichten nachzulesen, wie pessimistisch die Diplomaten namentlich
in den achtziger Jahren, die Gesamtlage dauernd beurteilten, wie sie