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7. Deutschland und England am Scheidewege
Am 22. Januar 1901 starb die Königin Viktoria, und Eduard VII.
bestieg den Thron. Dieser Regierungswechsel schien für die deutsch
englischen Beziehungen zunächst ohne erhebliche Bedeutung zu sein.
Der persönliche Einfluß des Herrschers auf die auswärtige Politik
war ja in England nicht entfernt so groß wie in den Monarchien des
Festlandes. König Eduard hat zwar gezeigt, wie viel ein kluger und
die Verhältnisse des Landes taktvoll berücksichtigender Mann an dieser
Stelle zu wirken vermag. Aber er mußte sich seine Position erst all
mählich schaffen und konnte zunächst Männern wie Salisbury oder
Chamberlain gegenüber nur mit großer Vorsicht eigene Ideen zur
Geltung bringen. Ob der neue König von Anfang an ein so erbitterter
Feind Deutschlands gewesen ist, wie man es diesseits des Kanals fast
allgemein glaubt, wird erst festgestellt werden können, wenn intimere
englische Zeugnisse vorliegen. Jedenfalls waren seine persönlichen Be
ziehungen zu seinem Neffen, dem Kaiser, niemals besonders gute.
Er war 60 Jahre alt geworden, bevor er zur Regierung kam, und hatte
es oft bitter empfunden, daß er gegenüber dem so viel jüngerem Neffen,
der sich überall, wo er auftrat, in die erste Linie zu stellen verstand,
immer im Hintergrund stehen mußte. Außerdem war dem nüchternen
und ruhigen Geschäftsmann das laute, auf äußere Wirkung eingestellte
Gebaren und das von einem unberechenbaren Temperament beherrschte
Wesen des Kaisers im tiefsten Innern unsympathisch. Da er den
Einfluß des Kaisers auf die deutsche Politik kannte und ihn vielleicht,
wie so viele andere, noch höher einschätzte als er wirklich war, so
erfüllte ihn gerade seine Beurteilung der Persönlichkeit Wilhelms II.
mit tiefem Mißtrauen gegen die Sprunghaftigkeit der deutschen Politik.
Der Kaiser eilte auf die Nachricht von der schweren Erkrankung
seiner Großmutter sofort nach London und traf die alte Königin noch
lebend an. Er wurde von der königlichen Familie und von der Bevöl
kerung mit der größten Liebenswürdigkeit aufgenommen und fühlte
sich, wie immer, wenn er in England war, vom englischen Wesen außer
ordentlich stark angezogen. Sein Aufenthalt dauerte vierzehn Tage und