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Persische Fragen.
dem unglücklichen Ausgang der bosnischen Krise galt seine Stellung
als erschüttert. Er war von Anfang an für den Anschluß an England ge
wesen, und seit 1908 bildete seine persönliche Feindschaft gegenüber
Aehrenthal ein geradezu friedensgefährliches Element in der euro
päischen Politik. Jetzt ging er als Botschafter nach Paris und wurde
durch seinen bisherigen Gehilfen Sassonow ersetzt, der als deutsch
freundlicher galt. Als Schwiegersohn Stolypins gehörte er der reak
tionären Partei an, die an sich weniger als die Liberalen den West
mächten zuneigte 57 ). Immerhin war es recht zweifelhaft, ob er in der
auswärtigen Politik die Bahnen seines Vorgängers wirklich verlassen
werde. Auch behielt Iswolski dadurch, daß er gerade nach Paris kam,
einen weitreichenden und verhängnisvollen Einfluß auf die russische
Gesamtpolitik.
Während scheinbar Ruhe in der Welt herrschte, ging die diplo
matische Wühlarbeit hinter den Kulissen unausgesetzt weiter. Zu ern
sten Konsequenzen schien eine Zeit lang die persische Frage zu führen.
Die Russen hatten es für nötig gehalten, im Frühjahr 1909 Täbris zu
besetzen und ihre Truppenabteilungen sogar in der Richtung auf Teheran
vorzuschieben. Sie strebten mit allen Mitteln danach, die persische Re
gierung völlig unter ihren Einfluß zu bringen. In London betrachtete
man das Vorgehen der Verbündeten mit lebhafter Besorgnis. Man fürch
tete, daß eine von Rußland beherrschte persische Regierung auch in
der neutralen Zone Mittelpersiens und in dem englischen Interessen
gebiet in Südpersien ihren Einfluß im russischen Sinne geltend machen
werde. Da man entschlossen war, das unter keinen Umständen zu
dulden, so würde man dann zu einer vollständigen Aufteilung Persiens
gezwungen worden sein, die man mit Rücksicht auf die öffentliche
Meinung des eigenen Landes und der übrigen Welt zu vermeiden
wünschte. Aus diesem Grunde warnte man die Russen immer wieder vor
eigenmächtigem Vorgehen und ließ gelegentlich durchblicken, daß die
Existenz der Entente, die ja wesentlich mit auf den über Persien ge
troffenen Abmachungen beruhte, ernstlich gefährdet werden könne,
wenn man sich in der persischen Frage veruneinige. Der russische Bot
schafter in London, Graf Benckendorff, riet immer wieder mit besorgter
Miene zu äußerster Vorsicht, da der Gewinn einiger Vorteile in Persien
gegenüber dem ungeheuren Wert der Entente mit England nicht in
Betracht kommen könne. Grey habe ihm gesagt, daß er selbst zwar eine
anders orientierte Politik nicht mitmachen werde, aber vielleicht ge
stürzt werden könne und nicht wisse, was sein Nachfolger tun werde.
Die Schwierigkeiten wurden schließlich durch weitgehende Nach
giebigkeit Englands überwunden; aber durch den Sturz des alten bereits
ganz von Rußland gewonnenen Schahs und die Einrichtung einer kon
stitutionellen Regierung in Teheran bereiteten sich neue Gefahren vor.
57 ) Jenisch an Betbmann, 13. Oktober.