Geringes Ergebnis
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sächlichen Angaben. Er habe die Beseitigung der gegenseitigen Miß
stimmung stets als seine erste Aufgabe betrachtet und hoffe, daß es
nun endlich zu einer befriedigenden Aussprache kommen werde. Dies
Dokument enthielt für jemanden, der eine günstige Stimmung zum
Verhandeln erwecken will, reichlich viel Vorwürfe und Klagen.
Die englische Antwort erklärte alle Vorwürfe für unbegründet,
zum Teil beleidigend; in manchen Fällen habe Deutschland ein Zusam
menarbeiten direkt abgeschlagen, wie in der mazedonischen und kreti
schen Frage. England wolle gern weiter verhandeln, aber nur, wenn
solche Vorwürfe nicht wieder erhoben würden. Bethmann antwortete,
so habe er es nicht gemeint, man habe ihn mißverstanden. Darauf ver
sicherte Grey dem Grafen Metternich, sein dringender Wunsch gehe
dahin, die beiden Gruppen einander zu nähern und eine Formel zu finden,
die sie nicht mehr als getrennte Lager erscheinen lasse, und damit den
Frieden sichere. Der Botschafter hatte den Eindruck, daß von eng
lischer Seite noch nie so deutlich der Wunsch nach einer wirklichen
Annäherung hervorgetreten sei und führte dies auf das Zugeständnis
des Nachrichtenaustausches zurück 67 68 ).
Trotzdem stockten die Verhandlungen bis zum Frühjahr 1911. Erst
am 25. März überreichte Goschen in Berlin ein neues Memorandum,
das aber nur die von früher her bekannten allgemeinen Redewendungen,
keine konkreten Vorschläge enthielt. Bethmann war sehr unzufrieden,
ließ aber, damit der Meinungsaustausch nicht ganz einschlafe, mit
einem in ähnlichem Stile gehaltenen Schriftstück antworten C8 ).
Der Kern der Situation war, daß Deutschland in der Flottenfrage
nichts Erhebliches bieten wollte, England ein poliüsches Abkommen
bestimmteren Inhalts nicht wünschte, jeder Teil aber dem anderen
die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen zuzuschieben bemüht
war. Dem russischen Botschafter sagte Grey, er halte nur eine solche
Formel für möglich, der auch Rußland und Frankreich beitreten könn
ten; das würde dann eine Art von allgemeinem Abkommen werden, an
der Gesamtlage aber nichts ändern.
Auch die Frage des Ausbaues der Bagdadbahn spielte immer wieder
in diese Auseinandersetzung hinein. Die Stellung der deutschen Gesell
schaft war durch die Gewährung der großen deu t s dbr-ös ter r ei ch i s ch'en
Anleihe an die Türkei wesentlich verstärkt worden. Im März 1911
erhielt sie die Erlaubnis zum sofortigen Ausbau der Bahn bis Bagdad
und zur Anlegung eines Hafens in Alexandrette. Die führenden
französischen Finanzkreise begannen nun mit ihr über eine all
gemeine Vereinbarung zu verhandeln, die nicht aussichtslos erschien.
G7 ) Deutsches Memorandum, 13. Oktober. Metternich, 27. Oktober. Eng
lisches Memorandum, 1. Dezember; deutsche Erwiderung, 10. Dezember. Metter
nich, 17. Dezember 1910.
68 ) Englisches Memorandum, 25. März 1911. Deutsche Antwort, 4. April.