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Haltung Englands
werde, Forderungen aufzustellen, die uns nicht mit andern Mächten
in Konflikt zu bringen drohten. Unsere Festsetzung in Marokko werde
England nicht zugeben. „Auch weiß ich nicht, wo wir die Mittel zu
einem solchen Vorgehen nehmen sollten.“ Daher müsse man durchaus
versuchen, durch weiteres Verhandeln ohne fremde Einmischung bei
Frankreich etwas zu erreichen. Bethmann-Hollweg schloß sich diesen
Ausführungen an und schrieb dem Kaiser, wenn keine Kompensationen
erlangt würden, werde nur der sehr ungünstige Rückzug auf die völlige
Durchführung der Algesiras-Akte möglich bleiben (20. Juli) 18 ).
In diesen Äußerungen der beiden für die Leitung unserer Politik
verantwortlichen Persönlichkeiten liegt die schärfste Kritik des bisher
befolgten Verfahrens. Man hatte sich in der Hoffnung auf leichtes Ge
lingen in ein Abenteuer gestürzt, ohne sich zu überlegen, wie man wieder
herauskommen solle, wenn die Dinge anders liefen, wie man es erwartet
hatte.
Der französische Minister wies die Abtretung des ganzen Kongo
sofort als völlig unmöglich zurück, gab aber Vollmacht zu weiteren
V erhandl ungen 19 ).
Auch in London hatte man sich natürlich die Frage vorgelegt, was
Deutschland eigentlich beabsichtige. Nach den Versicherungen Metter
nichs hatte man anfangs angenommen, daß es sich um koloniale Kom
pensationen von nicht sehr beträchtlichem Umfang handeln werde. Die
Entschließung darüber wollte man Frankreich allein überlassen und
sah die eigenen Interessen dabei zunächst nicht gefährdet, wenn man
auch gleich anfangs betonte, zu einer endgültigen Regelung der Marokko
frage müsse England mit herangezogen werden 20 ). Die englische Presse
nahm von Anfang an scharf gegen Deutschland Stellung, ohne daß die
Regierung etwas dagegen tat. Als man nun aber erfuhr, daß Deutsch
land den ganzen Kongo oder doch wenigstens einen erheblichen Teil
davon beanspruche, schien die Möglichkeit sehr nahe zu liegen, daß
die Verhandlungen scheitern würden. Was würde dann werden? Nicol-
son sagte am 19. Juli dem russischen Botschafter, dann werde Deutsch
land wahrscheinlich in Agadir bleiben und vielleicht sei das auch von
Anfang an der eigentliche Hintergedanke gewesen. Dann aber werde
die Lage sehr gefährlich werden, weil dadurch Englands Interessen
unmittelbar berührt würden 21 ). Dieselbe Befürchtung äußerte Grey
am 21. zu Metternich; man könne nicht wissen, ob Deutschland nicht
Agadir schließlich behalten und sogar zu einem Kriegshafen ausbauen
werde. Der Botschafter sagte ihm, das seien doch lediglich Vermu
tungen, England könne doch abwarten, ob seine Interessen wirklich ver-
ls ) Kiderlen an Bethmann, 17. Juli. Bethmann an den Kaiser, 18. Juli.
Immediatbericht, 20. Juli.
19 ) Schön, 18. Juli.
20 ) Metternich, 1., 3., 4. Juli.
21 ) Sieber t, 423 f.