Widerstreben des Kanzlers
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darlegte, stieß er sofort auf Widerspruch; er versprach schließlich,
so lange zu warten, bis die Marokkokrise völlig beendet sein würde.
Der Kaiser genehmigte zunächst die Verschiebung, befahl aber am 16. No
vember endgültig die Einstellung der neuen Flottenforderungen in den
Etat für 1912 und erklärte auf des Kanzlers Einwendungen, daß er
für das nächste Frühjahr bestimmt eine Novelle ins Auge gefaßt habe.
Der Kaiser genehmigte zunächst die Verschiebung, befahl aber am 16. No
gewann, er werde einen Regierungswechsel vornehmen, wenn er bei
ihm entschiedenen Widerstand finde 6 ). Der Kanzler und Kiderlen sahen
den Plan höchst ungern; sie waren namentlich darüber entrüstet, daß
ein auch politisch so wichtiger Entschluß lediglich auf Vortrag der
Marinebehörden, ohne die verantwortlichen Leiter der Politik vorher
auch nur ernstlich anzuhören, fern von Berlin während des Jagdaufent
halts des Kaisers in Rominten gefaßt worden sei und verlangten ein
gehende Erörterung, da die Entscheidung „sehr ernst und schicksals
schwer für unsere ganze Zukunft sei“ 7 ). Um diese im günstigen
Sinne zu beeinflussen, wandte sich der Kanzler an Metternich mit der
Frage, ob von der englischen Regierung nicht irgendein greifbares
Zeichen des Entgegenkommens zu haben sei, das über bloße freund
liche Redewendungen hinausgehe, und geeignet sei, auf den Kaiser
Eindruck zu machen. Als einen Schritt dieser Art würde er es ansehen,
wenn man von englischer Seite auf den früheren Gedanken einer
allgemeinen politischen Verständigung etwa in Form eines Neutralitäts
abkommens jetzt zurückkäme. Er beauftragte den Botschafter, vor
sichtig bei Grey zu sondieren, ob das nicht zu erreichen sein werde 8 ).
Metternich hatte große Bedenken den Engländern offen zu sagen,
daß wir unsere Flotte wiederum verstärken wollten, falls England
nicht ein Neutralitätsabkommen anbiete. Er meinte, das werde viel
leicht eine noch stärkere Anlehnung an Frankreich zur Folge haben.
Verstärkten wir aber unsere Flotte zunächst auf dem Papier, so werde
seiner Überzeugung nach sehr viel Vorsicht dazu gehören, um den
Bau ungestört durchzuführen 9 ). Die früheren Berichte Metternichs
wurden dem Kaiser vorgelegt, machten aber keinen Eindruck auf ihn.
Er sagte, es sei genau dasselbe, wie 1904 und 1908. „Wäre ich ihm
damals gefolgt, hätten wir jetzt überhaupt gar keine Flotte! Seine
Deduktion gestattet auf unsere Marinepolitik die Ingerenz eines frem
den Volkes, wie ich sie mir als oberstem Kriegsherrn und Kaiser nun
°) Bethmann an Metternich, 22. November.
7 ) Kiderlen an Jenisch, 26. November. Im ersten Konzept vom 25. No
vember sollte der Kaiser direkt gebeten werden, „nicht einseitige Ressortinter
essen, sondern alle seine berufenen Vertreter zu hören. Denn jetzt stehen wir
am Scheidewege, der zu ernst ist, um darüber fern von der Residenz ohne An
hörung der von S. M. selbst gewählten Ratgeber zu entscheiden“. Diese
Sätze blieben bei der Absendung fort.
8 ) 22. November, s. oben.
9 ) Metternich, 24. November.