Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

Widerstreben des Kanzlers 
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und nimmer gefallen lassen kann, noch werde! Und die für unser Volk 
eine Demütigung bedeutet! Es bleibt bei der Novelle!“ 
Am 27. November hielt Grey im Unterhause eine Rede, in der er 
einen nach deutscher Auffassung nicht einwandfreien Rückblick auf 
Englands Haltung während der Marokkokrise gab. Diese Rede ver 
bitterte die Stimmung des Kaisers noch mehr, obwohl sie auch den 
Wunsch nach freundlichen Beziehungen zu Deutschland für die Zukunft 
zum Ausdruck brachte. Der Kaiser telegraphierte darüber an den 
Reichskanzler, nach seinem Eindruck habe Greys Rede gar keine Ände 
rung herbeigeführt, da nirgends eine Andeutung oder ein Vorschlag 
gemacht sei, wie er die Beziehungen zu bessern gedenke. „Er hat die 
hochgespannten Erwartungen Europas enttäuscht. Folge: Stärkung zur 
See und zu Land unumgänglich nötig 10 11 ).“ Bethmann erklärte sich damit 
einverstanden, falls mit der Stärkung der Flotte eine solche des Heeres 
Hand in Hand gehe. Auch der Kriegsminister und der Chef des General 
stabs seien derselben Ansicht. Er bat, darüber näheren Vortrag halten 
zu dürfen 12 ). Er suchte offenbar durch starke Betonung der Notwen 
digkeit einer Verstärkung des Landheeres die Flottenforderungen mög 
lichst zurückzudrängen. Im Januar 1912 schlug er noch einmal vor, die 
Neuforderungen nicht in einer besonderen Flottennovelle zu machen, 
sondern die nötigen Bewilligungen jährlich 1 zu beantragen. Als dies 
abgelehnt wurde, drang er wenigstens auf Verlangsamung des Bau 
tempos für die drei neuen Schiffe, suchte seine Zustimmung hinauszu 
schieben und ließ auch in der Thronrede, mit der am 7. Februar der 
Reichstag eröffnet wurde, nur eine ganz allgemeine Erwähnung künftiger 
Wehrvorlagen zu. Er hoffte noch immer, daß von England ein Angebot 
kommen werde, erheblich genug, um den Kaiser umzustimmen. 
Metternich gewann aber aus seinen Unterredungen mit Grey die 
Überzeugung, daß England eine politische Vereinbarung, die einen Ver 
zicht auf die Entente in sich schließe, nicht zugestehen werde. („Dann 
ist auch gar nichts zu machen,“ bemerkte der Kaiser dazu.) Dagegen 
habe Grey angedeutet, daß er bereit sei, uns für den Ausbau eines 
zukünftigen mittelafrikanisciien Kolonialreichs seine Unterstützung zu 
gewähren. Damit wolle er uns besänftigen, meinte der Botschafter, 
das könne uns aber nicht die Gewißheit geben, daß wir die englische 
Politik in Europa nicht mehr gegen uns haben würden. Sein Eindruck 
sei, daß England sich trotzdem nicht leicht entschließen werde, wieder 
gegen uns Stellung zu nehmen, und daß man diese Stimmung vielleicht 
ausnutzen könne. Verstärkten wir aber jetzt unsere Flotte von neuem 
und zwängen England zu demselben Vorgehen und neuen Ausgaben, 
so werde die Aussöhnung als unmöglich erscheinen, und die Entente 
10 ) Der Kaiser an Bethmann, 27. November. 
n ) Bethmann an den Kaiser, 28. November. Der Kaiser an Bethmann, 
30. November. 
12 ) Bethmann an den Kaiser, 30. November.
	        
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