Ihr Scheitern
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zwangen werden sollte“, wurde vom Kabinett ebenso abgelehnt, wie
der vom Reichskanzler früher gewünschte Zusatz zu Haldanes Formel.
Da Deutschland seine Seemacht wieder verstärke, sagte Grey, könne
England seine alten Freundschaften nicht gefährden. „Ein direktes
Neutralitätsabkommen würde unbedingt die französische Empfindlich
keit reizen.“ Er sei fest überzeugt, daß keine Schwierigkeiten ent
stehen würden, solange Bethmann Reichskanzler sei. Er müsse aber
damit rechnen, daß auch eine andere Persönlichkeit an die Spitze
kommen könne. Er dürfe daher die französische Freundschaft nicht aufs
Spiel setzen, um nicht eines Tages zwischen zwei Stühlen zu sitzen.
Für die Herstellung vertrauensvoller Beziehungen genüge die von ihm
vorgeschlagene Formel. Auch gehe die Absicht, bei einem unprovo-
zierten Angriff neutral zu bleiben, deutlich genug daraus hervor. „Seine
Politik, Europa nicht mehr in zwei Lager zu teilen, werde mit der Zeit
ihre Früchte tragen.“ Über koloniale Fragen sei er weiter zu verhandeln
bereit.
Gleichzeitig sagte Churchill dem Botschafter driekt, da die deutsche
Novelle England zu starken Mehrausgaben zwinge, werde es schwierig
sein, etwas zustande zu bringen. Zu Ballin äußerte er, das fortwährende
Wettrüsten müsse innerhalb der nächsten zwei Jahre zum Krieg
führen 29 ). Am folgenden Tage, dem 18. März, hielt er im Unterhause
seine große Rede, in der er erklärte, daß England dauernd eine Über
legenheit von 60°/o an Schlachtschiffen haben müsse, daß er es aber für
das Beste und für durchaus durchführbar halte, wenn sowohl England
wie Deutschland zunächst einmal für ein Jahr auf jeden Neubau ver
zichteten. Dadurch werde das Verhältnis unverändert bleiben, beide
Teile würden große Ersparnisse machen, nämlich Deutschland die
Kosten für drei, England für fünf Schiffe. Das sei für Deutschland
günstig; denn wenn es wirklich zum Kriege komme, könne es nicht
hoffen, daß drei seiner Schiffe fünf englische aufwiegen würden. Durch
eine solche Vereinbarung werde die Freiheit beider Mächte in keiner
Weise beeinträchtigt und die Rivalität zur See für einige Zeit beseitigt
worden. Offiziell wurde dieser Vorschlag jedoch nicht gemacht.
Kurz vor Eintreffen dieser Nachrichten hatte der Reichskanzler den
Kaiser gebeten, mit der Veröffentlichung der Novelle warten zu dürfen,
bis feststehe, wie Englands Antwort in der Frage des politischen Ab
kommens ausfallen werde, um dessen Abschluß nicht unnötig zu ge
fährden 30 ). Wahrscheinlich war er entschlossen, bei Annahme seines
Textes durch die Engländer eine Herabsetzung der Flottenforderungen
zu verlangen und aus deren Bewilligung eine Kabinettsfrage zu machen.
Um so mehr mußte er sich enttäuscht fühlen durch' Metternichs Be-
29 ) Metternich, 14. und 17. März. Bethmann an den Kaiser, 17. März.
3Q ) Bethmann an den Kaiser, 15. März. Vgl. Aufzeichnung Jagows vom
10. Dezember 1916.