Konferenzpläne; Baltischport
361
durchaus für den Frieden war, sehr energisch gegen Rußland Partei
nehmen würde, wenn es den Anlaß zur Friedensstörung gebe, und daß
es dann nicht möglich sein würde, im Parlament den Beschluß einer
aktiven Flilfsleistung durchzubringen, zu der ja keinerlei vertragsmäßige
Verpflichtung bestand. Wie lebhaft Grey einen allgemeinen Zusammen
stoß zu vermeiden wünschte, geht schon daraus hervor, daß er dem
fortwährenden Drängen Rußlands auf eine Vermittlung der Entente
zwischen Italien und der Türkei stets den Wunsch entgegensetzte, es
möchten auch Deutschland und Österreich an diesen Verhandlungen
beteiligt werden. Auch später suchte er immer ein gemeinsames Vor
gehen der fünf Mächte herbeizuführen und sagte, es müsse unter allen
Umständen vermieden werden, daß sich in diesen gefährlichen Fragen
Dreibund und Entente als zwei geschlossene Einheiten gegenüberträten,
weil dadurch die Gefahr eines kriegerischen Zusammenstoßes außer
ordentlich gesteigert werde. Poincare regte unter diesen Umständen
schon im Juni eine Konferenz der Großmächte an, auf der außer der
tripolitanischen auch die Meerengenfrage besprochen werden sollte.
Nach seiner Ansicht sollten die Regierungen der Entente vorher er
klären, daß sie selbst einen territorialen Erwerb auf der Balkanhalb
insel nicht anstrebten und die gleiche Erklärung auch von den übrigen
Großmächten verlangen. Hierzu wollte sich jedoch Sassonow nicht
verstehen, weil das so aufgefaßt werden könnte, als ob Rußland in
Zukunft auf seine Jahrhunderte alte Politik auf dem Balkan verzichte 3 ®).
Die Formel wurde dann derartig verwässert, daß sie gar nichts mehr
[besagte, und der ganze Gedanke scheiterte vorläufig daran, daß Italien
und die Türkei von einer Erledigung ihres Streites durch eine Kon
ferenz nichts wissen wollten.
Auch in Berlin erkannte man natürlich die Gefahren die hinter
den Balkanfragen lauerten. Man beschloß, zunächst mit Rußland Füh
lung zu suchen. Am 4. und 5. Juli kamen der Kaiser und der Zar, be
gleitet von ihren leitenden Staatsmännern in Baltischport zusammen 4 ).
Die Begegnung verlief äußerlich herzlicher als alle früheren. Der Reichs
kanzler begab sich von da nach Petersburg, wo er sich drei Tage auf
hielt und mit Sassonow, Kokowzew und den übrigen Ministern dia
schwebenden Fragen durchsprach. Sassonow erklärte hier ausdrück
lich, man wolle die augenblicklichen Schwierigkeiten der Türkei nicht
ausnutzen; Rußlands Mission gegenüber den christlichen Balkanstaaten
sei abgeschlossen. Wenn Rußland und Deutschland gut miteinander
ständen, könne nichts in der Welt passieren. Er halte es für gut, wenn
die Monarchen regelmäßig etwa alle zwei Jahre zusammenkämen, davon
würde die ganze Welt profitieren. Bethmann versicherte ihm hingegen,
3a ) Tel. Sassonows an Iswolski 18. Juni. Livre Noir 1, 273.
4 ) Aufzeichnung Bethmanns, 4. und 5. Juli. Bethmann an das Auswärtige
Amt, 9. Juli. Pourtales, 19. Juli.