Briefwechsel zwischen Grey und Cambon
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Dunklen sind. Hier sicherten beide Regierungen sich zu, daß sie —
unbeschadet ihrer vollen Bewegungsfreiheit — sofort miteinander in
Verbindung treten wollten, wenn eine der beiden Mächte einen unpro-
vozierten Angriff einer anderen oder ein sonstiges den allgemeinen
Frieden bedrohendes Ereignis erwarte. Es sollte alsdann beraten werden,
ob ein gemeinsames Vorgehen zur Verhinderung des Angriffs oder Er
haltung des Friedens angezeigt erscheine und welche Maßregeln zu
diesem Zweck ergriffen werden sollten. Im Grunde bestimmte dieser
Briefwechsel nichts, was bei dem bestehenden freundschaftlichen Ver
hältnis beider Mächte nicht auch ohne besondere Verabredung geschehen
sein würde. Er enthielt keine Verpflichtung zu unbedingter Hilfs
leistung, nur zur Beratung, deren Ergebnis auch negativ ausfallen
konnte. Er band zudem nicht die Staaten, sondern nur die augenblick
lich leitenden Staatsmänner persönlich. Immerhin stellte er ein neues
moralisches Band her, hinderte er jede der beiden Regierungen, in
solchen Lagen einseitige und schnelle Entschlüsse zu fassen, gab er
die Möglichkeit, ja das Recht, in solchen Lagen zu fragen, wie die andere
Macht sich zu verhalten gedenke.
Wie konnte Grey in diesen Austausch von Erklärungen willigen,
da er doch Frankreichs deutschfeindliche Haltung kannte und zu ermu
tigen fürchten mußte, während er noch eben mit Deutschland über ein
Zusammenarbeiten in allen großen Weltfragen verhandelt hatte? Waren
seine Mitteilungen an Kühlmann nur Ausdruck einer vorübergehen
den Verstimmung gegen die bisherigen Verbündeten gewesen? Erkannte
er die Tragweite des Briefwechsels nicht? Die letztere Möglichkeit
muß bei einem so erfahrenen und vorsichtigen Diplomaten wie Grey
als ausgeschlossen betrachtet werden. Hatte er doch einen ganz ähn
lichen Vorschlag Deutschlands im Frühling zurückgewiesen, weil er
ihm eine zu weitgehende Bindung zu enthalten schien. Oder wollte
er vielleicht dem Drängen der Franzosen auf eine noch' weitergehende
Verpflichtung ausweichen, indem er eine Art Abschlagszahlung ge
währte? Wollte er vielleicht die engere Verbindung benutzen, um zu
rückhaltend auf die französische Kriegslust zu wirken? Oder wirkte
am Ende auch die Art mit, wie Deutschland seine Annäherung aufge
nommen hatte? Wir wissen nicht, ob schon im Oktober, als Grey
mit Kühlmann sprach 1 , eine französische Anregung zu jenem späteren
Meinungsaustausch vorlag. Sollte dies der Fall gewesen sein, so könnte
Greys Sondierung den Zweck gehabt haben, noch einmal Deutschlands
Stimmung zu erkunden, bevor man sich Frankreich gegenüber fester
binde, und die weitgehenden Wünsche Deutschlands, das gleich die
ganze Hand anstatt des kleinen Fingers haben wollte, könnten den
Entschluß der englischen Regierung mit bestimmt haben.
Jedenfalls war die Entente durch diese Vorgänge gefestigt. Grey
wurde Deutschland gegenüber zurückhaltender, obwohl er in den Orient
fragen nach wie vor ein Zusammenarbeiten anstrebte. Als der neue