Ausgang des Konflikts
395
lischen Botschafter gegenüber ähnlich aus, worüber Grey „sehr schmerz
lich berührt“ war.
Der russische Botschafter in Konstantinopel, nach dessen Ansicht
man stets zu einem bewaffneten Konflikt mit der Türkei gerüstet sein
mußte, riet, die Armenier heimlich mit Waffen zu versehen und die
Truppen an der Kaukasusgrenze zu verstärken. Von Paris aus hetzte
man; der Außenminister erklärte seine volle Solidarität mit Rußland
und drängte zu energischen Schritten. Ja, inoffiziell suchte man Ruß
land zu veranlassen, einfach ein Kriegsschiff bei Konstantinopel zu
stationieren, und es erst wieder zurückzuziehen, wenn Liinan ver
schwunden sei. Die Türken würden nicht wagen, es zu beschießen.
Man wünschte, Deutschland ein türkisches Agadir zu bereiten. Die
öffentliche Meinung Frankreichs, meinte Iswolski, werde durchaus
damit einverstanden sein. Auch suchte man Rußland zu drohenden
Schritten in Berlin zu drängen, und Poincare selbst erklärte aufs be
stimmteste, daß bei daraus entstehenden ernsten Verwicklungen Frank
reich sich trotz seiner Friedensliebe den Verpflichtungen nicht ent
ziehen werde, die ihm das Bündnis auferlege. Infolgedessen schlug
Sassonow Anfang Januar 1914 die Besetzung einiger türkischer Häfen
vor, sobald man auch des englischen Rückhalts sicher sei 9 .,).
In Berlin wünschte man jeden Konflikt zu vermeiden. Obwohl
die Presse der Entente eine friedliche Lösung dadurch erschwerte,
daß sie die Schritte ihrer Regierungen beim Sultan als Drohungen
gegen Deutschland hinstellte, genehmigte der Kaiser schließlich, daß
Liman auf das Kommando des ersten Korps verzichten, aber General-
Inspekteur der Armee und Direktor der Kriegsschulen bleiben solle.
Der Sultan war damit einverstanden. Sassonow hatte zwar auch jetzt
noch Bedenken, aber der Zar selbst erklärte sich befriedigt, und so
ging diesmal noch die Gefahr vorüber.
Charakteristisch für diesen Zwischenfall ist das Hetzen der Fran
zosen und die Zurückhaltung Englands, während Rußland bei jedem
Schritt nach London schielt, und sehr unzufrieden ist, daß es hier
nicht rückhaltlose Unterstützung findet. Offenbar würden sich Ruß
land und Frankreich nicht gescheut haben, es wegen dieser an sich
wenig bedeutsamen Sache zum Kriege kommmen zu lassen, wenn sie
die Sicherheit gehabt hätten, daß England mittun werde.
Schon im November, als diese Frage zuerst auftauchte, hatte
Sassonow dem Zaren eine Denkschrift über die künftige Behandlung
der Meerengenfrage vorgelegt. Es wurde darin ausgeführt, daß Ruß
lands historische Aufgabe die Beherrschung der Meerengen sei, ent
weder durch Besitzergreifung oder Anlage in seiner Hand befindlicher
befestigter Punkte oder auf irgendeine andere Art. Auf keinen Fall
könne es sich mit bloßer Neutralisierung oder freier Durchfahrt für
9a ) Denkschrift Sassonows vom 6. Januar. Deutsches Weißbuch 160 f.