Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

Russische Sondierung bei Deutschland 
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konnte nicht wünschen, daß ein großer Krieg ausbreche, bevor diese 
vollendet waren. 
Man hätte eigentlich erwarten sollen, daß Sassonow, wenn er die 
Herrschaft über die Meerengen als ein Hauptziel der russischen Politik 
betrachtete, die voraussichtliche Haltung Deutschlands und Österreichs 
in dieser Frage einwandfrei festzustellen versuchen würde. Als er 
Anfang November 1913 den Reichskanzler in Berlin aufsuchte, hat er 
aber wohl von Serbien und Albanien, von den Griechen, der asiatischen 
Türkei und Armenien mit ihm gesprochen, aber kein Wort von den 
Meerengenplänen Rußlands. Wahrscheinlich sah er in der Sendung 
Limans ein Zeichen dafür, daß Deutschland die Meerengen den Russen 
nicht überlassen wolle. 
Allerdings wurde später im März 1914 auf einem Umwege eine Son 
dierung eingeleitet. Der russische Botschafter in Konstantinopel, Herr 
v. Giers, der vielen als Sassonows künftiger Nachfolger galt und an den 
Petersburger Beratungen vom Februar teilgenommen hatte, benutzte 
die Gelegenheit eines Gespräches mit dem deutschen Botschafter 
v. Wangenheim, um diesem zu sagen: nach seiner Meinung komme 
jetzt eine Zeit, wo Deutschland und Rußland wieder Zusammenarbeiten 
könnten und müßten. Beide hätten kein Interesse daran, daß Klein 
asien aufgeteilt werde; Rußland würde dann Konstantinopel nehmen 
müssen, was zu Schwierigkeiten mit England führen werde; es würde 
Deutschland zum unmittelbaren Grenznachbarn in Kleinasien erhalten, 
was ebenfalls Anlaß zu Reibungen geben könne. Rußland beherrsche 
die Meerengen am sichersten und unauffälligsten durch eine unter 
seinem Einfluß stehende türkische Regierung. Daher könnten beide 
Mächte sehr gut in Konstantinopel gemeinsam arbeiten. Ob die Fran 
zosen Elsaß-Lothringen bekämen, sei für Rußland höchst gleichgültig. 
Der einzige wesentliche Differenzpunkt sei die deutsche Unterstützung 
der österreichischen Balkanpolitik. Die Führung des Dreibundes liege 
jetzt in Wien. Österreich habe die Fernhaltung der Serben von der Adria 
durchgesetzt, die albanische Mißgeburt ins Leben gerufen, seine 
Intriguen am Balkan bedrohten dauernd den Weltfrieden. „Wenn 
es jemals zu einem ernsten Konflikt zwischen Deutschland und Rußland 
kommen sollte, so würde Österreich die Ursache sein.“ „Ihm schwebe 
als Ideal ein deutsch-russisches Abkommen vor, in welchem beide 
Teile sich verpflichteten, unbeschadet ihres Verbleibens in den be 
stehenden Allianzen, im Falle eines Konfliktes eines der Länder mit 
einem Bundesgenossen des andern ihre Vermittlung zur Beilegung des 
Streitfalles eintreten zu lassen.“ Er wünschte ferner, daß Deutschland 
den Russen die freie Durchfahrt durch die Meerengen garantiere, durch 
seine Garantie zugleich der Türkei Sicherheit gegen Mißbrauch dieses 
Rechtes gebe und ihre territoriale Integrität gewährleiste. Dagegen 
würde Rußland der wirtschaftlichen Betätigung Deutschlands in Klein 
asien keine Hindernisse bereiten.
	        
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