Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

Lage im Sommer 1914 
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verständigen zu können, haben vielleicht dazu beigetragen, daß man 
jene letzte Anregung Rußlands wegen der Meerengenfrage unbeachtet 
ließ. Deutschlands Zurückhaltung gegenüber der durch Giers erfolgten 
Sondierung hat sicherlich in Petersburg denjenigen Elementen Wasser 
auf ihre Mühlen geführt, die das Deutsche Reich schon lange als den 
eigentlichen Gegner Rußlands im Orient betrachteten und der 'Mei 
nung waren, daß der Weg nach Konstantinopel über Berlin führe. 
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• 
Im Sommer 1914 schien eine besondere, nahe Gefahr für den Welt 
frieden nicht zu drohen, obwohl natürlich die allgemeine Unsicherheit 
der letzten Jahre fortbestand. Bedenklich war vor allen Dingen die 
fieberhafte Rüstungssteigerung. Seit 1909 hatte Rußland mit höchstem 
Eifer nicht nur an der Wiederherstellung, sondern an der denkbar 
höchsten Steigerung seiner militärischen Leistungsfähigkeit gearbeitet. 
Das Heer und die Flotte wurden vermehrt, die Festungen und Eisen 
bahnen namentlich an der Westgrenze auf Frankreichs fortwährendes 
Drängen ausgebaut, immer größere Teile des Landheeres dauernd 
an die deutsche und österreichische Grenze verlegt. Frankreich hatte 
1909 46 neue Artillerieregimenter geschaffen, 1912 seine Kavallerie 
entsprechend verstärkt, seine Flotte und seine Luftschiffe dauernd ver 
mehrt und bildete sich in den Kolonien eine schwarze Armee heran, 
deren Größe niemand genau kannte. Es führte endlich 1913 die drei 
jährige Dienstzeit ein und verstärkte dadurch sein Landheer gewal 
tig. Unter diesen Umständen konnte auch Deutschland nicht 
Zurückbleiben. Es mußte einem Zweifrontenkrieg auch ohne fremde 
Hilfe gewachsen sein; es handelte sich dabei um seine Existenz. Die 
Gesetze von 1911 und 1912 steigerten die Zahl der jährlich einzustellen 
den Rekruten und sorgten für die Ausgestaltung der technischen Waffen. 
Aber selbst nach voller Durchführung der hier festgelegten Grundsätze 
würde Deutschland in der Kopfzahl seines Heeres hinter den Nachbar 
mächten weit zurückgeblieben sein. Verfügte doch im Sommer 1914 
Rußland allein, gleichviel ob man die Kriegs- oder Friedensstärke der 
Armee zugrundelegt, über ein an Zahl stärkeres Heer als Deutschland 
und Österreich zusammen. 
In Frankreich behauptete die herrschende Partei unausgesetzt, 
daß Deutschland nach einer dauernden Hegemonie in Europa, nach 
immer weiterer Zurückdrängung und Schwächung der Republik strebe, 
ja daß es nur auf den Moment warte, wo es ungestraft über sie 
herfallen könne. Dies sei bereits 1905 und 1911 beabsichtigt 
gewesen, aber an Englands drohender Haltung gescheitert. Daß 
dies, objektiv betrachtet, falsch war, ändert nichts an der Tatsache, 
daß man es in Frankreich teils glaubte, teils zu glauben vorgab und 
damit in der friedliebenden Bevölkerung eine erbitterte Stimmung 
erzeugte, die im geeigneten Augenblick leicht zu voller Kriegsbegei-
	        
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