Der Dreibund
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weder die Dreibunds- noch die Ententeverpflichtungen hindern, so
wird sich der Krieg vermeiden lassen.“ England dürfe dann aber
nicht den russischen Chauvinismus durch Abschluß einer Marine
konvention oder auf andere Art begünstigen 24 ). Fürst Lichnowsky,
der dies Grey alles vorsichtig beibringen sollte, berichtete am 24. Juli
1914, daß dieser ebenfalls enge Fühlung wünsche und versichere, daß
weder Rußland noch Frankreich die geringste Lust zum Kriege hätten.
Nicht unbedenklich war es aber doch, daß Grey auch diesmal betonte,
Englands Verhältnis zu Rußland und Frankreich sei ein sehr intimes und
Sassonow wünsche „gewissermaßen als Gegengewicht gegen den fest
gefügten Block des Dreibundes den Dreiverband etwas kräftiger in die
Erscheinung treten zu lassen“. Daß Lichnowsky immer wieder betonte,
wenn es zum Kriege mit Frankreich komme, werde England aktiv
auf dessen Seite treten, wissen wir bereits.
Also unsicher war der Boden auch hier; man wußte es in Berlin
oder hätte es doch wissen können. Wie aber stand es mit dem „fest
gefügten Block“ des Dreibundes?
Daß auf Italien im Falle eines Weltkrieges nicht sicher zu rech
nen sei, wußte man ja längst in Berlin wie in Wien. Es war ein höchst
bedenkliches Zeichen, daß Italien Ende 1912 mitteilte, es könne die
frühere Verabredung nicht einhalten, wonach es im Falle eines deutsch
französischen Krieges Truppen über den Brenner zur Verstärkung der
deutschen Front in Elsaß-Lothringen zu entsenden versprochen hatte 25 ).
General Conrad v. Hötzendorf fand dadurch sein altes Mißtrauen glän
zend bestätigt und ließ sich auch durch die weitere Erklärung, daß man
die ganze italienische Armee an der Mittelmeerküste gegen Frankreich
einsetzen werde, nicht beruhigen. Überhaupt blickte man in Wien mit
äußerster Abneigung auf Italien, von dem man immer fürchtete, daß es
Österreich bei einem Balkankonflikt in den Rücken fallen werde. Hatte
doch der Zufall verraten, daß während der bosnischen Krise von 1909
heimliche Mobilmachungsbefehle für die italienischen Nordpro
vinzen ergangen waren, die sich nach Lage der Dinge nur
gegen Österreich richten konnten. In Berlin sah man Italien mehr als
schwankend und unzuverlässig, in Wien aber als heimlichen Feind
an, was für das Verhalten der Hofburg in den kritischen Tagen des
Juli 1914 nicht ohne Bedeutung gewesen ist.
Wie aber stand es nun um das deutsch-österreichische Bündnis
selbst? Daß Österreich es brauchte, weil es sonst der Gnade Rußlands
völlig preisgegeben war, liegt auf der Hand. Deutschland hätte es
im Notfall entbehren, ja vielleicht durch einen Verzicht darauf seine
Lage verbessern, sein Verhältnis zu Rußland auf eine ganz neue Basis
stellen können. Fürst Lichnowsky, der Österreich gut genug kannte,
war derjenige unter den deutschen Diplomaten, der diesem Bündnis
24 ) Bethmann an Lichnowsky, 16. Juni.
25 ) P r i b r a m 1, 299.