Deutschlands Stellung dazu
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künftige territoriale Gestaltung Serbiens seien. „Es wäre uns nur von
Wert, einigermaßen darüber orientiert zu sein, wohin der Weg etwa
führen soll.“ Gleichzeitig versuchte man, mit Recht besorgt über die
Haltung, die Italien einnehmen werde, die österreichischen Staats-
männer zu rechtzeitiger Fühlungnahme mit dem dritten Verbündeten
zu bestimmen, ja ihnen sogar den Verzicht auf das Trentino nahe zu
legen. Graf Berchtold lehnte in sehr bestreitbarer Auslegung des
Dreibundvertrages jede Verhandlung mit Italien hochmütig ab; man
wolle selbst keine Landerwerbungen auf dem Balkan machen, und
Italien habe daher auch keinerlei Kompensationen zu beanspruchen.
ln Wien fand am 19. Juli der letzte entscheidende Ministerrat
statt. Graf Tisza trat nochmals entschieden dafür ein, daß' keine Er
oberungspläne verfolgt werden sollten, höchstens eine Grenzberich-
tigung erstrebt werden dürfe. Die Magyaren, sagte er, hätten nicht
den Wunsch, noch mehr serbische Elemente in die Monarchie hinein
zubekommen. Graf Berchtold bestand jedoch darauf, daß Serbien auf
jeden Fall verkleinert werden müsse. Ein möglichst großes Stück
müsse Bulgarien erhalten, aber auch Griechenland, Albanien und even
tuell Rumänien könnten mit einem Anteil bedacht werden. Auch
werde unter Umständen für Österrreich selbst ein Stück serbischen
Gebiets erwünscht sein. Die Mehrheit schloß sich ihm an. Graf
Stürgkh erwog auch eine Vertreibung der Dynastie Karageorgewitsch
und den Abschluß einer Militärkonvention, die Serbien in ein politisches
Abhängigkeitsverhältnis zu Österreich bringen sollte. Eine vorüber
gehende Besetzung auch derjenigen Gebiete, die Serbien später ver
bleiben sollten, wurde ausdrücklich ins Auge gefaßt. Nach außen hin
sollte von diesen Absichten nichts verlauten, sondern nur erklärt
werden, daß Österreich keinen Eroberungskrieg führe. Auch Deutsch
land erhielt über die gefaßten Beschlüsse keine genaue Auskunft.
Erst am 22. Juli, 24 Stunden bevor das Ultimatum in Belgrad über
reicht wurde, erhielt Deutschland Kunde von dessen Wortlaut. Man
nahm in Berlin sofort an dem Tone des Ganzen sowie auch an 'ein
zelnen Forderungen Anstoß, hatte aber keine Möglichkeit mehr, auf
Änderungen hinzuwirken, da sich das Aktenstück bereits in der Hand
des österreichischen Gesandten in Belgrad befand, der es am folgenden
Tage übergeben sollte.
Die Haltung Deutschlands in den Wochen vor dem Ultimatum
läßt sich dahin zusammenfassen, daß man es für eine selbstverständ
liche Pflicht hielt, Österreich bei seinem gegen Serbien gerichteten
Vorgehen zu unterstützen, ganz ohne Rücksicht darauf, was Österreich
in Belgrad etwa verlangen werde. Man war sich wohl bewußt, daß
jeder Versuch der Anwendung voll Gewalt oder der dauernden Be
einträchtigung der serbischen Unabhängigkeit Rußlands erbitterten
Widerstand heraufbeschwören werde, und daß dann, wenn es zu
einem Kriege zwischen Österreich und Rußland komme, Deutschland