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Vermittlungsversuche
Zufall war, sondern daß man in Wien absichtlich das Ultimatum so
gestalten wollte, daß Serbien es nicht annehmen könne, weil man zur
Anwendung kriegerischer Maßnahmen von vornherein entschlossen war.
Obwohl man in Berlin diese Note nicht ohne Unbehagen las, ent
schloß man sich doch, Österreich auch weiterhin bedingungslos zu
unterstützen und nach Lokalisierung des Konflikts zu streben. Dieser
Standpunkt mochte juristisch einwandfrei sein, politisch beruhte er
jedenfalls auf einer vollständigen Verkennung der Tatsachen. Rußland
war entschlossen, eine Demütigung Serbiens unter keinen Umständen
zuzulassen. Untätigkeit in diesem Falle würde das schon durch die
Vorgänge der letzten Jahre erschütterte Vertrauen der Balkanslawen
auf die Hilfe des Zaren vernichtet und Serbien vielleicht geneigt ge
macht haben, ein besseres Verhältnis zur Donaumonarchie durch Ent
gegenkommen zu erkaufen. Rußland war viel stärker zum Kriege
gerüstet als in den früheren Jahren, und der Hilfe Frankreichs sicher.
'Mochte auch der Zar persönlich dem Kriege abgeneigt sein, so war
doch eine mächtige Partei am Hofe, die in der panslawistischen Presse
die lebhafteste Unterstützung fand, entschlossen, die nächste Gelegen
heit zur Abrechnung mit Österreich und Deutschland zu benutzen.
Sassonow stand stark unter ihrem Einfluß. Es war also mindestens
sehr zweifelhaft, ob Rußland sich auf diese Lokalisierung einlassen
werde. Es wäre ja dadurch verhindert worden, Serbien, wenn es ange
griffen werden sollte, wirksam zu unterstützen. Mag es auch begreiflich
erscheinen, daß man in Berlin dies Mittel zunächst versuchte, so ist
es doch ganz unverständlich, daß man auch dann eigensinnig an dieser
Idee festhielt, als sich herausstellte, daß Rußland sich auf diese Art
nicht von den Verhandlungen ausschließen lassen werde. Man ließ so
die kostbare Zeit ungenutzt verstreichen.
Von den übrigen Mächten regte England eine Verlängerung
der kurzen Frist für die Antwort und die Vermittlung der
vier unbeteiligten Großmächte zwischen Österreich und Rußland an;
es stellte sich also sofort auf den Standpunkt, daß Rußland als be
teiligt zu betrachten sei. Frankreich wünschte jede Antastung der
serbischen Souveränität vermieden zu sehen und mahnte Deutschland,
auf Wien mildernd einzuwirken. In Petersburg glaubte man, Österreich
suche nur einen Vorwand zum Kriege gegen Serbien, in welchem Falle
Rußland nicht indifferent bleiben könne. Man beschloß, die Mobil
machung eintreten zu lassen, sobald Österreich Serbien angreife. Um
aber für die eigenen Entschlüsse die nötige Sicherheit zu haben, suchte
man von London eine bestimmte Erklärung zu erhalten, daß England
beim Ausbruch eines großen Krieges auf der Seite Rußlands stehen
werde. Grey weigerte sich aber, eine solche zu geben.
Deutschland übermittelte den englischen Wunsch einer Frist
verlängerung nach Wien, erklärte aber, daß von einer Vermittlung
der unbeteiligten Mächte zwischen Österreich und Serbien seiner An-