Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

Deutsche Kriegserklärung an Rußland 
429 
Kriegspartei in Petersburg zur äußersten Anspannung ihrer 
Kräfte gedrängt zu haben, um die sofortige Gesamtmobilmachung 
durchzusetzen und dadurch die Verhandlungen zu zerreißen, bevor 
sie begonnen hatten. Sassonow wurde wohl durch die Furcht vor einer 
schließlichen diplomatischen Niederlage, die man ihm in die Schuhe 
schieben werde, gefügig gemacht; welche Argumente man zum Druck 
auf den friedliebenden aber schwachen Zaren anwandte, läßt sich 
bisher nur vermuten. Wir hören, daß man ihn mit der Befürchtung 
geängstigt hat, längeres Zögern könne von Frankreich als Verletzung 
der Bundespflichten ausgelegt werden, die pariser Regierung könne 
sich im Zweifel über Rußlands Bundestreue ein Neutralitätsversprechen 
von Deutschland abtrotzen lassen, und man werde dann ganz isoliert 
sein. Außerdem wird man ihm wohl gesagt haben, daß sich bei einem 
diplomatischen Mißerfolg die Wut des Volkes gegen die Dynastie und 
seine Person richten werde; breche dann eine Revolution aus, weil 
der Herrscher selbst gegen die nationalen Interessen gehandelt habe, 
so werde niemand für den Ausgang einstehen können. Daß der fran 
zösische Botschafter die Kriegspartei mit aller Kraft unterstützte, ver 
steht sich von selbst und ist auch von ihm offen zugegeben worden. 
Nachdem die russische Mobilmachung am 30. Juli 11 Uhr vor 
mittags bekanntgegeben war, verlief alles weitere mit fast automa 
tischer Selbstverständlichkeit. Österreich und Deutschland mußten mit 
der Gesamtmobilisierung antworten. Es war schon eine Verschlech 
terung der eigenen militärischen Chancen, daß Deutschland zunächst 
nur den Zustand der Kriegsgefahr proklamierte und noch einmal mit 
Rußland über die Zurücknahme seiner Mobilmachung verhandelte. Man 
konnte kaum eine tatsächliche Wirkung davon erwarten. Der Reichs 
kanzler ließ bekanntlich am 31. Juli eine auf Einstellung aller Kriegsmaß 
nahmen gegen Deutschland und Österreich gerichtete Forderung in 
Petersburg stellen, und nachdem innerhalb der gestellten Frist von 
zwölf Stunden keine entsprechende Zusage erfolgt war, die Kriegs 
erklärung an Rußland überreichen (1. August 7 Uhr abends). 
Es war ein sehr auffälliger Schritt, der denn auch wiederholt 
scharfen Tadel erfahren hat. Anstatt dem wirklichen Angreifer Ruß 
land auch die formelle Erklärung des Kriegszustandes zu überlassen, 
oder wenigstens erst abzuwarten, bis durch den Ausbruch des Krieges 
zwischen Rußland und Österreich der Bündnisfall für uns gegeben sein 
würde, erklärte Deutschland selbst noch vor Österreich den Krieg an 
Rußland. 
Welche Gründe waren dafür bestimmend? Seit man von der russi 
schen Gesamtmobilmachung wußte, war man in Berlin überzeugt, daß 
der Krieg nicht mehr zu vermeiden sei, und von diesem Augenblick an 
mußten die rein militärischen Gesichtspunkte ausschlaggebend sein. 
Wesentliche Chancen für einen Sieg im Zweifrontenkriege lagen in 
der größeren Schnelligkeit und Präzision des deutschen Aufmarsches.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.