Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

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Rückblick auf die kritischen Tage 
gegenübersteht. Man wartet in Berlin auf ein schnelles Vorgehen Öster 
reichs, das die Frage praktisch lösen soll, bevor Rußland eingreifen 
kann; man sucht zu verhindern, daß die Frage vor ein europäisches 
Forum kommt. Man sieht wohl, daß die Gefahr eines großen Krieges 
dahinter lauert; aber das war auch 1908 und 1912 der Fall gewesen, 
und schließlich hatten die Gegner doch nicht gewagt, an die Waffen 
zu appellieren. Man hoffte auf einen friedlichen Ausgang, wenn Öster 
reich schnell handle und Deutschland ihm fest den Rücken decke. 
Mit dem Bekanntwerden der serbischen Antwort am 27. Juli und 
dem nun einsetzenden Umschlag der allgemeinen Stimmung gegen 
Österreich beginnt der zweite Akt. Rußland rüstet erst heimlich, ordnet 
dann die Mobilmachung seiner südlichen Korps an. England warnt, 
Österreich erklärt, vor Mitte August nicht handeln zu können, Italiens 
und Rumäniens Haltung ist unsicher. Jetzt wird man in Berlin be 
denklich: man fürchtet, Österreich werde als der Angreifer erscheinen, 
wenn es auf keine Verhandlungen eingehe; man überzeugt sich, daß 
Rußland wahrscheinlich doch eingreifen wird. Nun beginnt man auf 
Österreich zu drücken, daß es noch einmal mit Rußland verhandle, 
die englischen Vermittlungsvorschläge annehme, und sich in Serbien 
mit einem kleinen demonstrativen Erfolg begnüge. Österreich zeigt 
sich hartnäckig und gibt erst sehr scharfem Drucke nach'. Es erklärt 
sich zur Diskussion der serbischen Antwort mit Rußland bereit. Eine 
letzte Hoffnung, die Krise friedlich zu lösen, leuchtet auf. 
Die russische Gesamtmobilmachung vom 31. Juli leitet den letzten 
Akt ein. Jetzt erkennt man in Berlin, daß der Krieg unvermeidlich ist; 
jetzt gilt es bei der ungeheueren Größe der Gefahr nur noch, wenn 
doch gekämpft werden muß, die Chancen der besseren militärischen 
Vorbereitung und des schnelleren Aufmarsches nicht zu verlieren. 
Während man den aussichtslosen Versuch macht, England zur Neu 
tralität zu bestimmen, mobilisiert man selbst, und erklärt schließlich 
an Rußland und Frankreich den Krieg, um den Zeitpunkt für den Beginn 
der nun unvermeidlichen Feindseligkeiten nicht den Gegnern zu über 
lassen. Man tut dies, obwohl man befürchten muß, nun der ganzen 
Welt als Angreifer denunziert zu werden. Man beginnt den Einmarsch 
in Belgien und erleichtert es dadurch dem englischen Kabinett, mit Zu 
stimmung von Parlament und Volk Deutschland den Krieg zu erklären. 
Der verhängnisvolle Irrtum der deutschen Politik bestand darin, 
daß sie glaubte, wie in den früheren Fällen auch diesmal Rußland 
durch scharfe Betonung der deutsch-österrreichiscben Solidarität vom 
Eingreifen zurückhalten zu können. Man lebte in dem Glauben an die 
Wirksamkeit der alten Rezepte, die dereinst geholfen hatten, aber 
gegen die inzwischen tiefer eingefressene Krankheit nicht mehr wirken 
konnten. Man hatte weder die inzwischen eingetretenen militärischen 
Machtverschiebungen noch das Erstarken der Kriegsparteien in Frank 
reich und Rußland mit voller Klarheit in die eigene politische Reeh-
	        
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