Full text: Kritik der Schleiermacherschen Glaubenslehre

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Blair und Fawcet. Seine eigenen Predigten sind nach und 
nach zu einer nicht geringen Zahl herangewachsen und bleiben 
sich in ihrer Ruhe und Eleganz ziemlich gleich-, nur daß, was 
den Inhalt betrifft, die früher direct ausgesprochene moralische 
Weltansicht allmählig einen mehr dogmatischen Hintergrund sich 
anzueignen strebt; nach anfänglicher Betrachtung isolirtcr morali 
scher Zustände und Verhältnisse ist Schleiermachcr erst das christ 
liche Familienleben, dann das kirchliche Jahr in seinen Momen 
ten auf meisterhafte Weise durchgegangen. Neben diese Predig 
ten sind als rhetorische Products die Monologen, die Reden 
über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern und 
die novellenartige Erzählung, die Weihnachtsfeier zu stellen; 
sie machen einen eigenen Kreis für sich aus, der tiefer unten zur 
Sprache kommen wird. — Die Reden bilden bei Schleierma- 
cher den Uebergang vom Rhetorischen in das Scicntifische. 
Seine Weltansicht hatte er einmal sixirt und suchte sie nun auch 
in der Wissenschaft der Religion, in der Theologie, zu realisiren. 
Von gelehrten Arbeiten im engeren Sinne, gab er hier nur 
eine dogmenhistorische Abhandlung über den Sabellianismus 
in der von ihm mit de Wette und Lücke angefangenen theologi 
schen Zeitschrift, eine kritische Untersuchung über die Aechtheit 
des ersten Paulinischen Briefs an den Timotheus und 
eine kritische Exegese vom Evangelium des Lukas. Diese letz 
tere Arbeit, worin ec die Hypothese eines sogenannten Urevangc- 
liums scharfsinnig bekämpfte, ist'vorzüglich anziehend, weil sie 
uns in die engste Anschauung einführt, welche sich Schleierma 
cher von Christus gebildet hat. Wir nehmen darin eine außer 
ordentlich zarte Fügsamkeit der Phantasie wahr, auf alles Beson 
dere zu achten, welches sich hauptsächlich in der Darstellung der 
letzten Reise Christi nach Jerusalem offenbart. Aber es ist auch 
nicht zu leugnen, daß er durch die Vertiefung in das Particu- 
lä're der Persönlichkeit, in das Materielle der den Augenblick 
bedingenden Umstände häufig in eine gewisse Kleinlichkeit verfällt, 
über deren Exposition er den Gott im Menschen ganz vergißt 
und sich zu den wunderlichsten Erklärungen und Vermuthungen 
hintreibt. Ein durchgreifender und gut gehaltener Zug seiner
	        
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