Lübeck in der Reformationszeit
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dem von Schleswig ein praecipuum membrum des Landtages, ja er hatte
das Recht und Amt, im Namen des Kaisers den Landesfürsten die Belehnung
mit Holstein zu erteilen. In die politischen Kämpfe unseres Landes wie des mit
ihm in Personalunion verbundenen Dänemarks hat die Stadt vielfach ein—
gegriffen, meist in der Tendenz, die Macht der vereinigten Länder nicht zu groß
werden zu lassen. So liebäugelte Lübeck gerne mit den Dithmarschern und gehörte
zu den intimsten Feinden des machtstrebenden Königs Christians JI., begünstigte
den Abfall Schwedens von Dänemark, gab Gustav Wasa eine Zeitlang ein ge—
schütztes Exil und betrieb im Bunde mit den holsteinischen und jütischen Rittern
die Erhebung des schwächer scheinenden Herzogs Friedrich auf den dänischen
Königsthron.
Auch als Mittelpunkt des kirchlichen Lebens konkurrierte Lübeck siegreich mit
Hamburg. Neben dem von Heinrich dem Löwen gegründeten Dom zeugten vier
prächtige Hauptkirchen (St. Marien, St. Jakobi, St. Peter und St. Aegidien)
und manche kleinere Gotteshäuser von dem frommen Sinne einer reichen Bürger—
schaft. Vier Klöster traten besonders hervor: das von Zisterzienser-Nonnen
bewohnte reiche St. Johanneskloster, das den Dominikanern gehörende Burg.
oder Marien-Magdalenenkloster, das franziskanische St. Katharinen- und das
erst 1802 errichtete St. Annenkloster, in dem Klarissinnen eine Erziehungsanstalt
für vornehme Bürgertöchter unterhielten. Dazu kamen unzählige geistliche Brüder—
schaften (Kalande), Beguinenhäuser, Armen- oder Elendshäuser und Hospitale,
unter denen sich das Heiligengeisthospital durch seinen reichen Besitz besonders
herverbob. Ueber all diesen der Volksfrömmigkeit dienenden Anstalten erhob
sich die kirchliche Aristokratie des wohlbegüterten Domkapitels mit 78 Präbenden,
und als höchste Spitze der Bischof, der außer seinem Hause in Lübeck ein eigenes
aus sieben Kirchspielen bestehendes abgerundetes Stiftsgut besaß, — im Zentrum
dieses Gebietes Eutin mit seinem Schloß und seinem Kollegiatkapitel (12 Prae
benden). Wenn man bedenkt, dasi am Dom 66, an St. Marien 68, an St.
Peter 29, an St. Jakobi 21, an St. Aegidien 19 Altarpriester oder Vikare
angestellt waren, und dazu alle die andern an den verschiedenen geistlichen Anstalten
beschäftigten geistlichen Personen rechnet (die Gesamtzahl des Klerus soll oft
über 800 betragen haben, Schreiber S. 10), so wird man auch bei Lübeck von
einer ungesunden Hypertrophie des geistlichen Standes reden dürfen, die einer
Reformation dringend bedurfte.
Jedoch ist der Durchbruch der reformatorischen Bewegung in Lübeck schwieriger
gewesen als in Hamburg und daher auch etwas später erfolgt. Was ihn erschwerte,
war die aristokratische Zusammensetzung des Rates, dessen Mitglieder fast nur
aus den vornehmsten Familien genommen wurden. Wie allezeit die Aristokratie,
waren auch die Regenten Lübecks zur Erhaltung des Bestehenden geneigt; „da—
neben war es das eigene Interesse und auch das ihrer Freunde und Verwandten
im Domkapitel, das ihre Hand fesselte. Denn die Domherrn verliehen manche
Stellen mit Vorliebe an der Bürgermeister und Ratsherrn Kinder“ (Schreiber
S. 2)). Dazu kam als erschwerendes Moment hinzu die stete Rücksicht, die
Lübeck als Reichsstadt auf die Gunst des Kaisers nehmen mußte.
Andererseits hat aber der Gegensatz zwischen Aristokratie und Demokratie
den Durchbruch der Reformation begünstigt: es waren die Kleinbürger, welche
) Es war hier also anders als in Hamburg, wo schon vor der Reformation starke Gegensätze
zwischen Rat und Domkapitel bestanden.'