1522- 1530
Ringen zwischen Rat und Bürgerschaft, dessen einzelne Phasen wir hier nicht
verfolgen können. Ein zur Hälfte aus den Innkern und Kaufleuten, zur Hälfte
aus den Aemtern (Zünften) gewählter Ausschuß, die Achtundvierziger (später
die 64er) übernahm die Vertretung der Bürgerschaft dem Rat gegenüber; dann
und wann machte die ganze Gemeinde in mehr oder minder tumultarischer Weise
ihren Willen geltend. Unter der Losung: Geld nur gegen Gottes Wort! zwackte
die festgeschlossene Gemeinschaft der Lutheraner dem widerstrebenden Rate eine
reformatorische Maßnahme nach der anderen ab. Zuerst mußten die vertriebenen
rvangelischen Prediger (Wilmsen und Walhosf) vom Rate wieder an ihre
Stellen berufen werden (7. Januar 1530); dann mußte derselbe noch zwei
weitere Prediger gleicher Richtung (Sade wisch aus Lüneburg und Peter von
Vriemersheim aus Oldesloe annehmen (8. Mai). Schließlich forderte
und erreichte man, daß die Messe und andere katholische Zeremonien wenigstens
vorläufig abgestellt wurden, daß die Klöster zu St. Marien-Magdalenen und
St. Katharinen aufgehoben, jenes zum Kranken- oder Pockenhaus, dieses zur
Schule eingerichtet wurde; daß alle silbernen Geräte der Kirche in öffentliche
Verwahrung genommen wurden und die Prediger ein gehöriges Einkommen
erhielten; man forderte endlich auch eine neue Ordnung des Kirchenwesens wie
in Hamburg, mit Kirchgeschworenen aus dem Volk an jeder Kirche „durch einen
gelehrten Mann (Waitz S. 58).
Damit war die Sache der Reformation zum Siege gelangt. Nun konnte der
Mann kommen, dem man die Neuordnung des Kirchenwesens anvertrauen wollte.
3. Die evangelische Neuordnung des Kirchenwesens.
Es war natürlich, daß man bei der Suche nach dem geeigneten „gelehrten
Mann“ auf den kam, der in der Nachbarstadt sich so trefflich als kirchlicher
Organisator bewährt hatte: trotz drohender Mandate des Kaisers von Augsburg
her berief man Johannes Bugenhagen. Am 28. Oktober traf er in
der kaiserlichen Stadt ein').
Unterstützt von einer elfköpfigen Kommission, schuf er die Lübecker
Kirchenordnung. Am 14. Mai 1531 wurde sie vollendet, am 27. Mai
feierlich angenommen und auf Trinitatis ein auch später noch lange in Lübecks
Kirchen gefeiertes Dankesfest angesetzt (gedruckt zu Lübeck durch Johann Balhorn
1531, neu herausgegeben Lübeck 1877, bei Sehling Bd. 5, S. 327 ff., mit
wertvoller geschichtlicher Einleitung).
Die Lübecker KO entspricht nicht nur sachlich, sondern auch im Wortlaute durch-
weg der Hamburger. Es erübrigt sich daher, Einzelheiten aus ihr mitzuteilen.
Erwähnt sei nur die Aufrichtung einer gelehrten Schule im St. Katharinen—
kloster, welche ebenso wie die Hamburger bald zu hoher Blüte gediehen ist und
Jahrhunderte lang auch dem holsteinischen Lande als höhere Bildungsstätte ge⸗
dient hat.
Im Gegensatz zu Hamburg wurde in Lübeck sofort auch für die Kirchen
des Landgebietes (Behlendorf, Musse und Schlutup — Genin gehörte
dem Domkapitel und kam erst 1803 an die Stadt) eine Kirchenordnung erlassen
9) Gleich zu Beginn seines Aufenthaltes in Lübeck hatte er ein merkwürdiges Erlebnis mit
einer „besessenen“ Jungfrau, durch welche, wie er sagt, der Teufel sein Werk stören wollte.
(Schreiber S. 73 f. Vogt, Bugenhagen S. 101 ff.).