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B. 1, 5 7. Die Reformation Lübecks
wenn in dieser Beziehung durch genaue geschichtliche Untersuchungen einmal mehr
Licht geschaffen werden könnte. Als sicher darf gelten, daß seit dem Uebergang
des Bistums an das Gottorfer Haus jede kirchliche Bedeutung desselben über sein
Territorium heraus erloschen ist. Wir finden später, daß die wagrischen Patronats
herren für Ordination und Examen ihrer Pastoren vielfach das Lübecker Mini—
sterium und seinen Superintendenten in Anspruch genommen haben, so dasi bis
zur Unterstellung auch der Adelskirchen unter die landesherrliche Aufsicht (1030)
diese gewissermaßen an die Stelle der alten Lübischen Hierarchie getreten sind.
Ein anderes ist die Frage, wann innerhalb des eigenen Territoriums die kirch—
lichen Funktionen der alten Hierarchie erloschen sind. Das ist natürlich erst ge—
schehen, nachdem alle diese Kirchen der Reformation zugeführt worden sind. Wir
kommen also zu der Frage, wie es mit de Reformationder Kirchen,
die „lübeschen Stiftes“ waren, d. h. Eutin, Malente, Bosau, Neu—
kirchen, Rensefeld, Hamberge und Genin, gewesen ist. Der f Kirchenrat
P. Rahtgens muß in seinem hübschen und von historischem Verständnis
gzeugenden“) Heftchen über die Reformationsgeschichte des Bistums Lübeck (1917)
gestehen, das man mit Ausnahme des vor den Toren Lübecks gelegenen, dem
Domkapitel gehörigen Genin, von dem man bestimmt weiß, daß es 1556
nmoch nicht reformiert war, über den Zeitpunkt, in welchem die Landgemeinden
dem neuen Kirchentypus zugeführt wurden oder zuerst einen evangelischen Prediger
bekamen, schlechterdingsg ar nichts weiß. Zu vermuten ist, daß
sie erst unter Eberhard von Holle, also nach 18601, reformiert worden sind.
Anders war es mit Eutin. Hier hat Detlev von Reventlov seine kurze
Amtszeit als Bischof benutzt, um einen von Christian III. ihm empfohlenen
evangelischen Prädikanten als Kirchherrn einzusetzen. Es war ein Mönch aus
dem Amte Ripen, der zu Wittenberg „wunderbarlich erleuchtet war““ (Rahtgens
S. 18), namens Paulus Severini Geverinsen oder Sörensen). Won
der Bürgerschaft freundlich aufgenommen, konnte er sich trotz der anfänglichen
Anfeindungen der Domherren des Kollegiatstiftes auch unter den katholischen
Nachfolgern Reventlovs halten, und hat dreißig Jahre lang in Segen in Eutin
wirken können: in ihm darf man den Reformator der Stadt sehen. Im übrigen
ging es in dieser höfischen Kleinstadt mit der Reformation ganz gemütlich zu: man
teilte sich in die Kirche: die Domherrn hielten im Chor, der evangelische Kirchherr
im Schiff der Kirche Gottesdienste; Severinis Schwiegersohn und Nachfolger
Paul Junge hat noch als Hilfsprediger den Domherrn die matutinas et vesper-
tinas preces singen helfen; später diente der (evangelische) Schulmeister auch
ihnen als Vorsänger (a. a. O. S. 19). Diese freundnachbarliche Gemeinschaft
dauerte, bis um 1000 der Katholizismus unter den Domherren erloschen war.
Als der weltliche Bischof Johann Adolf 1586 sein Amt antrat, wird das ganze
Stift evangelisiert gewesen sein. Die Gottorfer setzten einen Superintendenten
über das kleine Kirchenwesen — eine besondere Kirchenordnung für dasselbe zu
schaffen, haben sie nicht für nötig gehalten: sie benutzten als solche einfach die
schleswig-holsteinische.
) So schreibt er z. B. S. 17: „Die Einführung der Reformation in den Landgemeinden
hat man sich schwerlich so zu denken, daß unter irgendwelchen Glaubenskämpfen die alte Religion
förmlich der neuen wich. Es wurden vielmehr lediglich die Messopfer abgeschafft und das
Abendmahl unter beiderlei Gestalt gereicht; die Einwohner liesßen sich das gefallen, wie sie
auch anderweitigen Anordnungen einer hohen Obrigkeit gebührenden Gehorsam zu erweisen sich
verpflichtet fühlten.“ Val. meine Darstellung S. 15 ff.