Erstes Buch
Die Umwälzung des Kirchenwesens oder die
Reformation 1817-1542
1. Einleitung. Allgemeines zur Reformationsgeschichte
1. Vorbemerkungen.
Wenn es im folgenden unternommen werden soll, in Fortsetzung des von dem
verewigten Professor Hans von Schubert begonnenen Werkes') die weitere Ent—
wickelung des Kirchenwesens in SH') womöglich bis zur Gegenwart hin zu be—
i) Kirchengeschichte Schleswig-Holsteins JI, Kiel 1907.
) Diesen allgemeineren Ausdruck gebrauche ich mit Bedacht. Ich spreche nicht von der
Kirche Schleswig⸗Holsteins“, damit der Leser nicht irrtümlicherweise von vornberein einen
festen und greifbaren Begriff, etwa das, was wir heute als die „evangelisch⸗lutherische Landes
irche Schleswig⸗Holsteins“ bezeichnen, vor Augen habe. Eine solche gibt es — streng ge⸗
nommen — erst seit der Besitzergreifung unseres Landes durch Preußen und der Errichtung
einer besonderen Kirchenregierung in Gestalt des Kieler Konsistoriums (1867). Von dem, was
dis dahin in unserm Lande bestand, haben Kenner — ob mit Recht oder Unrecht, bleibe zunächst
dahingestellt, — ernsthaft bezweifeln wollen, ob man es als wirkliche „Kirche“ bezeichnen
dürfe. Natürlich ist es der letzte Zweck dieses Werkes, die heutige s.h. Landeskirche ihrem
Wesen und ihrer Art nach geschichtlich begreiflich zu machen. Aber dieses Gebilde ist der End—
vunkt, nicht der Ausgangspunkt unserer Betrachtung. 350 Jahre liegen zwischen diesen
Punkten, und der lange, nicht immer gerade verlaufende Weg, der vom einen zum andern
führt, ist der Gegenstand unserer Betrachtung. Darum ist es wohlgetan, sich von vornherein
allgemeiner auszudrücken und statt von der Geschichte der Kirche Schleswig-Holsteins von der
des „Kirchen wesens in Schleswig-Holstein“ zu sprechen.
Denn auch „Schleswig-Holstte in“ (mit Bindestrich) ist ein empfindlicher Begriff und
muß mit Vorsicht angefaßt werden, wenn wir nicht von vornherein in geschichtliche Irrtümer
fallen wollen. Als grographische Bejeichnung steht er für uns fef. Schleswige Holste in
ist fiür uns das Land zwischen Elbe und Königsau, un ser Land, das wir kennen und lieben,
und das unter allen geschichtlichen und staatsrechtlichen Veränderungen stets seine besondere
Note gehabt hat und behalten wird. Sobald wir aber diesen Namen in st aatsrecht-
disch em Sinne gebrauchen, müssen wir vorsichtig sein. Denn staatsrechtlich ist die Wort⸗
oerbindung Schleswig-Holstein erst seit der Einverleibung unseres Landes in das Königreich
Preußen voll berechtigt — bis dabin wurde der so bezeichnete „Staat“ mit gutem Rechte stets
ils „die Herzog oder Fürstentümer Schleswig un d Holstein“ bezeichnet. Hinter dem Binde⸗
strich zwischen Schleswig und Holstein liegt die ganze geschichtliche, politische Entwickelung
inseres Landes mit all ihren Nöten und Sehnsüchten, ihren Erfüllungen und Enttänschungen.
Schubert hat das Werden und Wachsen des politischen Begriffes Schleswig⸗Hol stein im
Mittelalter gar schön geschildert. Auch weiterhin ist die Entwickelung des Kirchentums mit der
politischen Geschichte eng verknüpft; diese muß daher, wenn auch nur als Begleitmusik, auch in
unserer Darstellung erscheinen. Da es sich aber um eine 350jährige politische Geschichte handelt,
an deren Ende erst das voll vereinigte Schleswig-Holstein steht, ist es wobl getan, die den ver⸗
schiedenen Zeiten entsprechenden staatsrechtlichen Vezeichnungen korrekt zu gebrauchen. Ich werde
deshalb, ohne mich sklavisch an diese Regel zu binden, für das politische Gebilde bis 1864