Vorbemerkungen
des Geschehens fester Haltepunkte, von denen aus man auf das verflossene als
etwas relativ Abgeschlossenes und Vollendetes zurückschauen kann. Und als
solcher scheint mir in unserer Frage wenigstens für das Hauptgebiet unseres
Landes das Jahr 1542 gegeben zu sein: mit der Annahme des Grund—
gesetzes für die kirchliche Neuordnung der Herzogtümer ist der Kampf um das
Neue abgeschlossen, das Kind ist nach manchen Mutterwehen geboren. Von
nun an handelt es sich um seine Entwick,elhung, die unmöglich mit einem
bestimmten Jahre abgeschlossen werden tanm
2. Die von der Reformation vorgefundene kirchliche Organisation des Landes.
Da die Reformation nicht einen völligen Neubau, sondern den Umbau eines
schon vorhandenen Gebäudes bedeutet, kann sie ihrem Wesen und ihrer Wirkung
nach ohne eine einigermaßen klare Erkenntnis des von ihr vorgefundenen Be—
standes, das heißt hier des im Mittehalter geschaffenen Kir—
chentums nicht voll verstanden — Die Kenner der mittelalterlichen
Geschichte unseres Landes bedürfen in dieser Beziehung natürlich keiner Be—
lehrung. Da ich jedoch nicht in allen Lesern dieses Werkes solche Kenntnis voraus—
setzen darf, zumal da die Standardwerke dieses Wissensgebietes, J.M. Bd.l
und 2 und Schuberts Werk völlig vergriffen sind, so halte ich es für unerläßlich,
wenigstens die äußere Organisation des vorreformatorischen Kirchen—
tums unseres Landes in ganz kurzen Strichen zu zeichnen.
In zäher und erfolgreicher Arbeit hatte die mittelalterliche katholische Kirche
ein reiches, hier engeres, dort weitermaschiges Netz von Werkstätten des kirchlichen
Lebens über unser Land gebreitet. sc 1517 ragten aus den dürftigen Wohn—
stätten unserer Vorväter ungefähr' 425 kleinere oder größere, einfachere oder
prächtigre Gotteshäuser heraus. An jeder Kirche wirkte allein oder mit
einem oder mehreren Gehilfen (Vikaren) ein Pfarrer (Parochus, Kirchherr).
Zu jeder Kirche aber gehörte ein fest abgegrenzter örtlicher Bezirk, welcher der
geistlichen Pflege durch den Pfarrer befohlen war und in der betreffenden Kirche
den Mittelpunkt seines religiösen Lebens hatte. Je nach der einen oder anderen
Beziehung ward dieser Bezirk als „Pf a r rei“ sparochia) eder als „Kirch⸗
spiel“ (niederdeutsch „Karkspeel“, abgekürzt „Kaspel“ mit tonlosem e) be—
rige ——
Was für ein bewundernswertes Werk die mittelalterliche Kirche mit dieser
Organisation des religiösen Volkslebens geleistet hat, und in welchem Maße
unser evangelisches Kirchenwesen auf dem Grunde des mittelalterlich-katholischen
steht, wird uns klar, wenn wir bedenken, daß die Kirchspiele heute durchgängig
noch dieselben Grenzen haben wie vor 500 Jahren, und daß die Zahl der Kirchen
in den ersten Jahrhunderten nach der Reformation sich fast gar nicht, in der Neu—
zeit aber nur in einem Maße gemehrt hat, das, verglichen mit der inzwischen
so gewaltig gestiegenen Bevölkerungszahl. viel eher eine Verminderung als eine
Vermehrung darstellt.
Wenden wir uns nun von den Seelenhirten und ihren Heerden zu den Ober—
hirten, so stehen wir vor der erstaunlichen Tatsache, daß das Kirchenregi—
) Im Dänischen heißt die Pfarrgemeinde Sogen, ein Wort, das mit soge — „suchen,
besuchen“ zusammenhängen soll. Sogn ist also die Gemeinschaft der eine bestimmte Kirche Be
ec Der Pfarrer wird als Sognepraest bejzeichnet (vergl. das hochdeutsche „Leut
priester“).