250 B. 2, K. 1, 9 19. Behörden und Gemeinden
sowohl gegen eine Verkürzung in aristokratischer Richtung wie gegen unangemessene
Beeinfluffung durch die Gemeindegewaltigen schiüttzte ').
Als Schutz des allgemeinen Wahlrechts und der Unabhängigkeit der Wähler
darf man es auch ansehen, wenn die Obrigkeit sich bemühte, bei der Wahl—
handlung gute Ordnung zuschaffen.
Der Wahlhandlung gingen allemal Probepredigten vorauf. Waren zwei oder
drei Kandidaten präsentiert, so wurde die Wahl im Anschluß an die letzte Probe—
predigt gehalten — die Sitte, alle Kandidaten hintereinander an e in eim Sonn—
tag predigen zu lassen und dann darauf die Wahl zu halten, ist erst später auf—
gekommen. Die Wahlhandlung selbst verlief ursprünglich ziemlich primitiv: das
Wahllokal war nach uralter Sitte der Kirchhof; dort sammelten sich die Stimmen—
den in zwei oder drei Haufen; darauf wurde „Mannzahl“ gehalten und wer den
größten Haufen für sich hatte, als gewählt erklärt. Bei dieser Art zu stimmen,
ergaben sich naturgemäsß leicht Tumulte. Um diesen zu wehren, zog man die Wahl
in die Kirche und ordnete bei den Amtskirchen — bei den adeligen hatte der Patron
die Leitung der Wahl — an, daß Propst und Amtsschreiber allemal den Wahlen
beiwohnen und auf das Recht schauen sollten “*). Auch wurde eine verfeinerte
Art des Abstimmens allmählich eingeführt. Sehr hübsch beschreibt Propst Hude-
mamnen in Krempe in einem Bericht an Graf Rantzau, wie er 1001 die Pre—
digerwahl in St. Margarethen, die „gottlob ganz sine strepitu et confusione
verlaufen sei“, geleitet habe:
Er habe soviel wie möglich den in Straßburg üblichen Modus imitiert: erst die Gemeinde
ermahnt, dann mit dem Amtsschreiber an einem kleinen Tische bei'm Altar Platz genommen
und nach der vorher vom Kirchspielvogt eingereichten Designation einen jeden einzeln heran—
kommen und durch „die kleine Tür“ wieder entweichen lassen, damit niemand wissen könnte,
auf wen er gestimmt.
In Dithmarschen, dem Lande der Bauernaristokratie, war, wie es scheint, der
Schutz des „gemeinen“ Wählers gegen Beeinflussung durch die Dorfgewaltigen
besonders nötig. Deshalb erging unter dem 1. Februar 1717 eine Kgl. Con—
stitution fir Süderdithmarschen (CREHII, 785 ff.), welche das Wahl⸗
versahren ausführlich regelte. U. a. wird geboten, daß „alle und jede, welche mit
den Praesentatis und Candidatis einige Connexion und Verwandtschaft haben,
sowol Beamte als Vorstehere und Gevollmächtigte, ob sie zwar sonsten die Wahl
mit aufzunehmen berechtiget wären, solchem Actui weiter nicht als bey Ablegung
ihres Voti beywohnen, damit niemand durch ihre Gegenwart intimidiert und aus
solcher Furcht oder anderen Ursachen in seinem freyen Voto turbiret und behindert
werde“. Auf dem Wahltische im Chor der Kirche sollen drei Becken stehen, deren
o) Ein Kön. Reskript vom 27. Mai 16055 (CRAH II, 7853) verordnete für Süderdith—
marfchen, daß die Predigerwahlen nicht allein von den vornehmsten und Qualifiziertesten ver—
richtet werden sollten, sondern von den gesamten Einwohnern die „Rauch und Feuer hätten
und hielten“. Als der Münsterdorfer Propst 1089 darauf antrug, daß auch bei Prediger—
wahlen die ganze Gemeinde durch einen Ausschuß vertreten werde (wie in Mordschleswig),
beliesi es der König bei'm Alten (vgl. oben S. 246). Gottorf verbot 1701 ernstlich, daß obrig—
keitliche Personen die Eingepfarrien entweder mit Bitten oeder Drohungen zu beeinflussen
suchten. „Denn wir solche Leute nicht anders als Verächter unserer Hoheit anzusehen und
sie zum Erempel anderer ernstlich abzustraffen uns hiemit öffentlich erklären.“ Ja, es wurden
sogar die durch etwaige Praktiken übergangenen Kandidaten angewiesen, davon dem Hofe
Nachricht zu erteilen.
aꝛ) So Graf Chr. Rantzau für Münsterdorf 1662. Die Leitung der Wahl durch den
Propsten war freilich schen in der KOo S. 51 allgemein angeordnet wordes, aber man weiß ja,
wie wenig allgemeine Anordnungen in der gquten alten Zeit aalten.