2. Art. § 3. Von den sittlich gleichgültigen Hnndlnngen. 335
Bei jeder überlegten Handlung verfolgt der Mensch irgend einen
Zweck. Das folgt aus der Natur des Willens und ist ein von allen
Schulen anerkannter Grundsatz. Da nun das nützliche Gute (bonum
utile) nicht Zweck sein kann, so bleiben als Zweck nur das ergötzende
Gute (bonum delectabile) oder das sittliche Gute (bonum honestum).
Ist der Zweck des Willens das sittlich Gute, so wird der Wille gut.
Ist er dagegen bloß das ergötzende Gute ohne Rücksicht auf das, was
dem vernünftigen Menschen hic et nunc geziemt, so ist die Handlung
notwendig schlecht. Denn der Mensch muß in allem als vernünftiges
Wesen handeln und im Gebrauch sinnlicher Lust das rechte Maß haltend
Das ist aber nicht möglich, wenn er nur die sinnliche Befriedigung im
Auge hat. Auch mit der unmäßigen Befriedigung ist die Lust ver
bunden, wie wir das beim Trunkenbold, beim Ausschweifenden usw.
sehen. Entweder berücksichtigt also der Handelnde beim sinnlichen Genuß
wenigstens implicite, was ihm als vernünftigen Wesen geziemt, und
dann ist die Handlung sittlich gut, oder aber nicht, dann wird sie schlecht
Alle Menschen tadeln denjenigen, der nutzlos redet oder für
sein Reden keinen vernünftigen Zweck oder Grund anzugeben weiß.
Wenn es aber tadelnswert ist, ohne vernünftigen Grund zu reden,
so scheint es ebenso tadelnswert, ohne vernünftigen, oder was dasselbe
ist, vor der Vernunft zu verantwortenden Zweck zu handeln. Ein
solches Handeln ist unvernünftig.
Einen andern Beweis gibt uns die Bestimmung des Menschen.
Gottes Weisheit scheint zu erheischen, daß er, soviel an ihm liegt, alle
Dinge ohne Ausnahme auf den höchsten Weltzweck, nämlich seine eigene
Verherrlichung, hinordne. Vom Menschen insbesondere scheint Gott
verlangen zu müssen, daß jede seiner bewußten Handlungen irgendwie
auf den höchsten Weltzweck hingeordnet sei. Nur insoweit sie diesem
Zwecke dienen, kann Gott an ihnen sein Wohlgefallen haben. Alle
übrigen Handlungen muß er als nutz- und wertlos für den höchsten
Zweck alles Geschaffenen ansehen, somit als Schritte außerhalb und zu
wider der rechten Ordnung.
Nun aber fehlt diese Hinordnung auf den höchsten Weltzweck allen
Handlungen, welche nicht ihrer Natur oder ihren Umständen oder ihrem
1 Unter bonum delectabile im Unterschied zum bonum honestum wird immer
das sinnlich Angenehme verstanden. Delectabile, quod contra honestum
dividitur, est delectabile secundum sensum. 8. Tho m., In I Ethic. 1. 5. In
bet Summa (1, 2, q. 31, a. 5 ad 3) sagt er: Delectationes corporales sunt secun
dum partem sensitivam, quae regulatur ratione; et ideo indigent temperari
et refrenari per rationem; sed delectationes spirituales sunt se
cundum meutern, quae est ipsa regula; unde sunt secundum se ipsas
sobriae et moderatae. Vgl. oben S. 208.
- 8. T h 0 m., 8. th. 1, 2, q. 18, a. 9.