Aeußerer Gang der Tetingschen Kontroverse
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Anders ging es mit dem offenbar charakterfesteren Tetiing. Nachdem er
in einem Vermahnungsschreiben an alle verständige Menschen und
wahre Christen“ (1024) gegen das mit ihm beliebte Verfahren vor der ganzen
christlichen Welt Protest eingelegt hatte, ging er nach Hamburg und konnte hier
zehn Jahre lang unangefochten seinen ärztlichen Beruf ausüben. Daß er dann
noch einmal das Brot der Verbannung essen mußte, hatte seine Ursache in dem
1034 zu Lübeck herausgekommenen, von dem Superintendenten Nicolaus
Hunnius im Namen der in gut lutherischem Geiste verbundenen Ministerien
von Lübeck, Hamburg und Lüneburg verfasten „Ausführlichen Bericht
von den Neuen Propheten ...“ Dies gründliche, in seiner Art be—
deutende Werk, das zunächst durch die in Lübeck verbreiteten ketzerischen Lehren des
großen Schwarmgeistes Paul Felgenhauer veranlaßt war, ist recht eigentlich zum
tlassischen Lehrbuch der Auseinandersetzung der orthodoren Kirche mit den „Fana-
ticiss' der Zeit geworden '). In diesem Buche war auch Tetings Lehre an—
gegriffen worden. Er glaubte dazu nicht schweigen zu können und verteidigte sich
in einer „Abgedrungenen. . Verantwortung“ (1035) gegen den
Angriff. Nun erst wurde der Ketzer von der Hamburgischen Geistlichkeit recht er—
kannt und auf allen Kanzeln „durchgezogen“. D. Johannes Müller,
Pastor an St. Petri, erhob sich wider ihn mit eine „Mohtwendigen
Verthädigung des ausführlichen Berichts von den Neuen Propheten“
(1656), und der damals der orthodoren Geistlichkeit noch sehr nachgiebige Ham—
burger Rat verwies den Ketzer aus seinem Gebiet. Wohin er gegangen und wann
er verstorben ist (sedenfalls vor 1042), weist man nicht. Allzuweit brauchte man
damals ja nicht zu gehen, um in ein anderes „Vaterland“ zu gelangen. Ebenso—
wenig weiß man, ob und wie weit der von Teting und Genossen ausgestreute Same
im Kirchenvolke wirksam gewesen ist. Daß ihr Wirken namentlich in Eiderstedt
und um Husum herum nicht völlig ohne Frucht geblieben ist, darf man annehmen.
Im Pietismus ist der in die Erde gestreute Ketzersame wieder zum Vorschein
gekommen.
„A. O. Hopers aber hat in ihren Poömata ihren schwarmgeistigen Freunden
und deren Gegnern ein ewiges Denkmal gesetzt “).
y Micolaus Hunnius, ein Sohn des Professors Acgidius Hunnius, Superintendent
don Lübeck (1023 - 1045), war in der Bekämpfung der zeitgenössischen „Schwarmgeisterei“
s.t.s. Spezialist. Er war ein außierordentlich tüchtiger Theologe, ohne Zweifel damals der
weitaus bedeutendste der ganzen Nordmark, und keineswegs ein gewöhnlicher Klopffechter, viel⸗
mehr auf Frieden und Einigkeit in der lutherischen Kirche aufs innigste bedacht. Beweis dafür
ist seine 1632 erschienene „Eonsultatio oder wohlmeinendes Bedencken, ob und wie die Evan;
gelische Lutherische Kirchen die jetzt shwebende Religions-Streitigkeiten entweder friedlich bey
legen oder durch Christliche bequehme Mittel fortstellen und endigen mögen“. Der hier er—
örterte Vorschlag, für alle dentschen lutherishen Kirchen eine Art von oberstem Glaubens—
gericht zu schaffen, erregte derzeit weithin Aufsehen, ohne jedoch zum Ziele zu führen. Sein
„Epitome credendorum eder Inhalt Christlicher Lehre . ..“ (Wittenberg und Lübeck
1025, später unendlich oft wiedergedruckt) ist eine wundervolle (möglichst) volkstümliche Dar—
stellung des frommen, in der Schrift gegründeten Lutherischen Glaubens und als solche noch
heute lesbar (Vgl. die bei Beck, Mördlingen 1850 erschienene Bearbeitung: „Des alten Niko—
aus Hunnius Glaubenslehre der ey.luth. Lehre“). Im übrigen vgl. zu Hunnius den aus—
fübrlichen Bericht in Starcks Lübeckischer Kirchengesch. (17 74) S. 757-1112). Ferner
Moller ll, 7760- 3809.
17) Nur einige Proben ihrer scharfen Satire sollen hier angeführt werden:
S. 07: O ihr verkehrte Pfaffen-Knecht,
Fritz Hansen und Fritz Dame,
O Schlangen-⸗Art, Ottern-Geschlecht
Ja, Satans eigner Same ...