Full text: 1517 - 1721 (2)

Schwärmertum und Orthodoxie 
307 
zu stützen gesucht wird, ist es naturgemäß schwer, einen überzeugenden Schriftbeweis 
zu führen und die von der Kirche verkündete verweltlichte, bürgerliche Sittlichkeit 
zu verteidigen. Dennoch versucht Dame das. Ausführlich handelt er insondecheit 
von dem Zinsnehmen und kommt in sehr gewundenen Ausführungen zu dem 
Resultat: zwar Armen zinslos zu leihen ist ein schön christlich Werk, von den 
Reichen aber, die selber mit dem Kapital Geschäfte machen wollen, dem bürgerlichen 
Gesetz gemäß Zinsen zu nehmen ist recht und gut. Mit Matth. 5, 30 ff. ist nur 
die „Privatrache“ verboten, nicht aber die „Amptrache“ vor der gottgeordneten 
Obrigkeit. Ebenso Matth. 5, 34 ff. Privateide, nicht aber die von der Obrigkeit 
geforderten Amtseide und Gerichtseide. Das Prangen und Prahlen mit Kleider— 
schmuck verwerfen auch die lutherischen Prediger und wünschen von Herzen ein 
Einschreiten der Obrigkeit dagegen. Alle Fröhlichkeit und Ergötzlichkeit im Essen 
und Trinken ist dem Christen nicht verboten, wohl aber „das tägliche Wösen 
und im Luder liegen ... Insonderheit ist das Gesundheit sauffen eine verdamm— 
liche Vberladung / vnd ein alte Heydnische Weise / die von der Schwelgeren 
ein Opffer vnd Segen macht ...“ Zwar das private Fechten und Balgen ist 
ein schändlicher Mißbrauch, aber rechtmäßige Kriege sind eine „Amptrache“. 
Endlich bekämpft Dame ausführlich den pelagianischen Irrwahn der Schwär— 
mer, als ob der Gläubige imstande sei, die Gebote Gottes vollkommen zu halten. 
Wohl sollen wir nach solcher Vollkommenheit traͤchten, aber die Erbsünde können 
wir aus unserm Wesen nicht austilgen, und sie ist es, die auch das beste Tun 
unvollkommen macht, so daß wir allezeit arme Sünder bleiben. 
Wenn endlich Teting und Lohmann bekennen, daß sie nicht inistande seien in 
die Kirche zu gehen und am Sakrament teilzunehmen, weil die Priester sie feind 
selig behandeln, unchristlich wandeln, und Gute und Böse zum Altar herzulassen, 
so ist Dame darauf kaum eingegangen. Bemerkenswert ist dagegen, was Egardus 
hierzu sagt: 
Das Abendmahl Christi hat seine Vollkommenheit, Adel, Kraft nicht von Menschen, sondern 
von Christo. Der Apostel, da er lehret das Abendmahl recht gebrauchen, weiset uns auf keine 
Person, sondern führet mis ins Herz, dasß wir uns selbst sollen prüfen. Diese Leute aber be— 
rauben sich selbst des höchsten Gutes und können nicht anders denn für Verächter seiner Ordnung 
angesehen und gehalten werden. Was sonst uns Prediger anlanget, wäre es wohl fein und 
löblich, daß wir alle Christo unserm Meister durch Uebung seines Lebens folgten und ein 
Fürbild wären der Gemeine in allen Tugenden. Aber daran wird wohl allezeit 
Mangel gefunden werden. Es sind war leider viel, die Christum haben im Munde, 
aͤber nicht im Herzen; ihn predigen, aber nicht leben, sondern sich der Welt gleichförmig stellen, 
daß daher um ihrethalben das heilige Predigtamt sehr wird verkleinert und verlästert. Aben 
sotange Gott sie leidet, musimanssie auch leiden und mehr auf ihr Amt 
und Wort denn auf ihr Leben sehen, wie denn Christus bejehlet, daß man die Pharisäer, die 
auf Mosis Stuhl sasien, sollte hören, aber ihnen im Leben nicht folgen. Danach die andern 
Lehrer, die sich befleisigen Christo aufs beste zu folgen, finden und fühlen dennoch ihre viel. 
fältige Schhwachheit und Gebrechen. Es ist mit uns allen hie Stückwent und 
Unvollktommenheit, da si der Herr allein gerecht bleibe und wir 
unnütke Knechte und Dien'er 
Der so geformte Protest des frommen Kirchenmannes gegen die donatistischen 
Anschauungen der Schwärmer hebt sich sehr zu seinem Vorteil von der priester— 
lichen Ueberhebung und Unbelehrbarkeit der meisten seiner Kollegen ab. Auch 
Dame hatte ursprünglich milde über Teting und Lohmann geurteilt; erst von Ha. 
bakuk Meyer und seinem ketzerriechenden Eifer aufgestachelt und durch die Hart— 
näckigkeit der Schwärmer erbittert, hat er sich auf feine amtliche Pflicht zur Auf—⸗ 
rechterhaltung der rechten Lehre besonnen und zu der (immerhin nicht maßlosen) 
Heftigkeit, die in seiner „Retorsion“ hervortritt, hindurchgearbeitet. Bei Egardus
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.