Schwärmertum und Orthodoxie
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zu stützen gesucht wird, ist es naturgemäß schwer, einen überzeugenden Schriftbeweis
zu führen und die von der Kirche verkündete verweltlichte, bürgerliche Sittlichkeit
zu verteidigen. Dennoch versucht Dame das. Ausführlich handelt er insondecheit
von dem Zinsnehmen und kommt in sehr gewundenen Ausführungen zu dem
Resultat: zwar Armen zinslos zu leihen ist ein schön christlich Werk, von den
Reichen aber, die selber mit dem Kapital Geschäfte machen wollen, dem bürgerlichen
Gesetz gemäß Zinsen zu nehmen ist recht und gut. Mit Matth. 5, 30 ff. ist nur
die „Privatrache“ verboten, nicht aber die „Amptrache“ vor der gottgeordneten
Obrigkeit. Ebenso Matth. 5, 34 ff. Privateide, nicht aber die von der Obrigkeit
geforderten Amtseide und Gerichtseide. Das Prangen und Prahlen mit Kleider—
schmuck verwerfen auch die lutherischen Prediger und wünschen von Herzen ein
Einschreiten der Obrigkeit dagegen. Alle Fröhlichkeit und Ergötzlichkeit im Essen
und Trinken ist dem Christen nicht verboten, wohl aber „das tägliche Wösen
und im Luder liegen ... Insonderheit ist das Gesundheit sauffen eine verdamm—
liche Vberladung / vnd ein alte Heydnische Weise / die von der Schwelgeren
ein Opffer vnd Segen macht ...“ Zwar das private Fechten und Balgen ist
ein schändlicher Mißbrauch, aber rechtmäßige Kriege sind eine „Amptrache“.
Endlich bekämpft Dame ausführlich den pelagianischen Irrwahn der Schwär—
mer, als ob der Gläubige imstande sei, die Gebote Gottes vollkommen zu halten.
Wohl sollen wir nach solcher Vollkommenheit traͤchten, aber die Erbsünde können
wir aus unserm Wesen nicht austilgen, und sie ist es, die auch das beste Tun
unvollkommen macht, so daß wir allezeit arme Sünder bleiben.
Wenn endlich Teting und Lohmann bekennen, daß sie nicht inistande seien in
die Kirche zu gehen und am Sakrament teilzunehmen, weil die Priester sie feind
selig behandeln, unchristlich wandeln, und Gute und Böse zum Altar herzulassen,
so ist Dame darauf kaum eingegangen. Bemerkenswert ist dagegen, was Egardus
hierzu sagt:
Das Abendmahl Christi hat seine Vollkommenheit, Adel, Kraft nicht von Menschen, sondern
von Christo. Der Apostel, da er lehret das Abendmahl recht gebrauchen, weiset uns auf keine
Person, sondern führet mis ins Herz, dasß wir uns selbst sollen prüfen. Diese Leute aber be—
rauben sich selbst des höchsten Gutes und können nicht anders denn für Verächter seiner Ordnung
angesehen und gehalten werden. Was sonst uns Prediger anlanget, wäre es wohl fein und
löblich, daß wir alle Christo unserm Meister durch Uebung seines Lebens folgten und ein
Fürbild wären der Gemeine in allen Tugenden. Aber daran wird wohl allezeit
Mangel gefunden werden. Es sind war leider viel, die Christum haben im Munde,
aͤber nicht im Herzen; ihn predigen, aber nicht leben, sondern sich der Welt gleichförmig stellen,
daß daher um ihrethalben das heilige Predigtamt sehr wird verkleinert und verlästert. Aben
sotange Gott sie leidet, musimanssie auch leiden und mehr auf ihr Amt
und Wort denn auf ihr Leben sehen, wie denn Christus bejehlet, daß man die Pharisäer, die
auf Mosis Stuhl sasien, sollte hören, aber ihnen im Leben nicht folgen. Danach die andern
Lehrer, die sich befleisigen Christo aufs beste zu folgen, finden und fühlen dennoch ihre viel.
fältige Schhwachheit und Gebrechen. Es ist mit uns allen hie Stückwent und
Unvollktommenheit, da si der Herr allein gerecht bleibe und wir
unnütke Knechte und Dien'er
Der so geformte Protest des frommen Kirchenmannes gegen die donatistischen
Anschauungen der Schwärmer hebt sich sehr zu seinem Vorteil von der priester—
lichen Ueberhebung und Unbelehrbarkeit der meisten seiner Kollegen ab. Auch
Dame hatte ursprünglich milde über Teting und Lohmann geurteilt; erst von Ha.
bakuk Meyer und seinem ketzerriechenden Eifer aufgestachelt und durch die Hart—
näckigkeit der Schwärmer erbittert, hat er sich auf feine amtliche Pflicht zur Auf—⸗
rechterhaltung der rechten Lehre besonnen und zu der (immerhin nicht maßlosen)
Heftigkeit, die in seiner „Retorsion“ hervortritt, hindurchgearbeitet. Bei Egardus