§24. Schleswig-Holstein und der Synkretismus.
Neben dem Spiritualismus trat um die Mitte des 17. Jahrhunderts als ein
nenes, die strenge Orthodoxie auflösendes Element der Synkretismus in
die lutherische Kirche ein. Während aber der Spiritualismus in hohem Maße
eine Laienbewegung war und als solche ein wesentliches Moment zur Entstehung
des im letzten Viertel des Jahrhunderts sich in der Kirche erhebenden Pietismus
darstellt, ist der Synkretismus eine rein gelehrte, theologische Richtung, die dann
allerdings auch einen politischen Anstrich bekam, insofern diejenigen weltlichen
Mächte, welche Untertanen verschiedener Konfessionen in ihren Gebieten be—
herbergten, im Interesse des religiösen Friedens diese Richtung bevorzugten.
Das eigentliche Wesen gerade dieser Richtung ist für uns heutige besonders
schwer zu verstehen. Das liegt nicht zuletzt an der sonderbaren Bezeichnung, welche
die theologischen Gegner dieser Bewegung anhängten. Synkretismus, ur—
sprünglich etwas anderes bedeutend'), wurde verstanden als eine Richtung, welche
auf „Vermifchung“ der drei Konfessionen bedacht sei. Das war indessen nicht der
Fall. An eine „Vermischung“, an eine völlige Einigung der durch die Refor—
mation in drei Konfessionen geteilten christlichen Kirche dachte kaum einer von
den sog. Synkretisten. Der Grundgedanke des Synkretismus war vielmehr, daß
Katholiken, Kalvinisten und Lutheraner eine gFemeinsame Glaubens—
grundlage besäßen, welche als zum Seligwerden genügend den verbitternden
Streit zwischen den Konfessionen aufheben oder wenigstens zu lindern imstande
sein sollte.
Blicken wir zurück, so erkennen wir im Synkretismus eine Fortsetzung und
Erneuerung des Philippismus); vorwärts gesehen findet er seine Auswirkung
und Fortsetzung in den Unionstendenzen, wie wir sie schon im 17. Jahrhundert
beim Großen Kurfürsten und weiterhin bei den preußischen Königen finden, in der
konfessionellen Knochenerweichung des Pietismus und letztlich in der überkonfessio—
nellen Allgemeinreligion des Rationalismus. Auf der anderen Seite hat er für
manche Lutheraner die Rückkehr zur alleinseligmachenden Kirche, wenn nicht direkt
veranlasit, so doch erleichtert und möglich gemacht “).
1) Vgl. K. Müller, KGeII, 2, S. 582. Verständlicher könnte die Richtung etwa als
Indifferentismus oder Latitudinarismus beieichnet werden. Die zeitgenös⸗
sischen Gegner bezeichneten sie auch als „Meutralismus“.
2) Es ist wohl kein Zufall, daß der Hauptvertreter des Spnkretismus, unser berühmter
dandemann Gegrgius Calirtus (Jorgen Callisen), in einem philippistisch bestinmmten
Pfarrhause aufgewachsen ist: sein Vater, der Pastor von Medelby (Südtondern), hatte den
Magister Germaniae noch selber gehört. Zu Calirt ist außer der allgemein bekannten
Literatur noch besonders zu vergleichen: A. Halling, Beiträge zur Familiengeschichte des
Geschlechts Callisen. Als Mannskript gedruckt, Glückstadt 1898.
) So war es auch der Fall bei einem bedeutenden Apostaten unseres Landes, dem Reichs—
grafen Christoffer von Ranutzau, Erbherrn von Schmoel und Hohenfelde (f7 10091).
Dieser hatte sich als junger Studiosus ein halbes Jahr lang in Calixts Hause aufgehalten
und war von ihm zum Studium des kirchlichen Altertums angehalten worden. Als er kurz
danach (1050), in Rom weilend, zum Uebertritt geneigt wurde, mahnte Calirt ihn dringend
davon ab. In einem (wohl von Lucas Holstenins redigierten) offenen Briefe (Rom, 1051) hat
der einstige Schüler dem Meister erklärt (übersetzt): „Ich werde nicht ablassen, dich zu diesem
Hafen des Heils einzuladen, den mit Eiser zu durchforschen ich, wie ich gestehen muß, gerade
durch dich angereizt worden bin. Denn es wäre mir nicht so leicht möqlich gewesen, jene eine,
heilige, katholische und apostolische Kirche zu durchschauen, wenn ich nicht durch deine Führung
zur festen Ueberzeugung gekommen wäre, daß sie nicht der Sitz des Antichrists und das Bordell