Gab es schon eine Landeskirche?
staatlichen Zwang heute nicht mehr geschehen kann — das verbietet schon das (nicht
hon der Reformation geschaffene) jeder modernen Staatsidee unverlierbar ein—
geprägte Prinzip der religieösen Freiheit des Individuums.
Aber so gewisi die Reformation sich noch innerhalb des mittelalterlichen Ideen—
gehalts vollzogen hat — in ihren Auswirkungen bedeutet sie eine wirkliche
Neuerung, einen Schritt in die Neureit, der über ihre rein religiöse Wirkunq weit
hinausreicht.
8 führt uns zu einer weiteren allgemeinen Frage: Was hat die nach
Utherischem Typus vollzogene Reformation,— nmur diese
kommt ja für unser Land in Frage — Meues geschaffen?
5. Auswirkungen der Reformation.
Wenn wir danach fragen, muß allererst die Vorstellung beseitigt werden, als
ob die Reformation so etwas wie eine Erweckung, eine wirkliche religiöse.
Volksbewegung oder eine sittliche Erneuerung des Volkes mit sich geführt ube
Daß dem nicht so gewesen ist, ist eine einfache geschichtliche Tatsache, die man auch
in volkstümlichen Darstellungen nicht verdunkeln sollte, die auch bei näherem Zu—
sehen verständlich genug ist. Gewis ist Luthers „Lehre““, das heisit die aus seinem
Erlebnis heraus geborene Verkündigung von der freien Gnade Gottes in Christo
und dem ihr entsprechenden christlichen Lebensideal etwas überaus Herrliches und
Zukunftskräftiges, denn in ihr ist nicht weniger als ein völlig neues Verständnis
des Christentums gegeben, das nicht nur über das mittelalterliche, sondern auch
iber das altkirchliche Verständnis hinaus zu dem Urquell der Gottesoffenbarung,,
der im Neuen Testamente fliesit, zurückführt. Aber dieser Schatz, den die Refor—
mation in sich birgt, ist viel zu groß, als dasß er schon von einer oder mehreren
Menschengenerationen hätte wirklich erfaßt und angeeignet werden können. Dazu
kommt, daß das rein religiösce Motiv, das den deutschen Profeten trieb, in!
der von ihm in Gang gebrachten geschichtlichen Bewegung, die wir als „Refor⸗
mation“ zu bezeichnen pflegen, sich mit so viel anderen Motiven verbunden hat, daß
das Resultat, das dabei herauskam, doch wesentlich anders aussah, als was Luther
im tiefsten Grunde ersehnt und erstrebt hat. Das sozialrevolutionäre
Motiv, das in den Bauernkriegen sich an die Fersen Luthers zu heften versuchte,
hat er noch selber abzuschütteln vermocht. Nicht vermocht hat er das mit dem
Motiv, das viele (nicht alle) Fürsteen und Mächtige zur Reformation
trieb, dem Streben nach Vermehrung ihrer Macht und ihres Vesitzes; dies ist
vielmehr in dem tatsächlichen geschichtlichen Vorgang dern Reformation mindestens
in dem gleichen Masie wie das religiöse wirksam —— hat er das
rationale Motiv, in dem sich die humanistische Bewegung der Reformation
anschloß, abzuschütteln vermocht: so stark Luther selbst gegen die „Hure Vernunf!t“
geeifert hat, hat diese doch in seiner Kirche eine starke Gewalt gewonnen, sowohl
in der vom Mittelalter ererbten scholastischen Gestaltung der lutherischen Theologie,
in welcher das blutwarme Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders zu
einem verstandesmästig behandelten „Locus“ im dogmatischen System wurde, als
auch in der engen Verbindung der evangelischen Theologie mit der humanistischen
Gelehrsamkeit, die von Melanchthon inauguriert ist und von der man sehr zweifel—