Friedrich Brecling
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seinen literarischen Nachlaß vermacht. Aber auch an den Vertretern des separa—
istischen Pietismus hat er Kritik geübt und die Labadisten, Quäker und dergleichen
ebenso verworfen wie die Sozinianer, Arminianer und andere Aufklärer. Ein
eigenartiges Verhältnis hat er zu Gottfried Arnold gehabt. Einerseits
ist er es gewesen, der Arnold zu seinem Riesenwerk, der — ach so parteiischen —
„Unpartheiischen Kirchen- und Ketzerhistorie““ veranlaßt hat (Moltesen S. 108),
ja er hat auch selber einige Beiträge zu diesem Werke geliefert *), andererseits
hat er dessen ins Sinnliche überschlagende Mystik verurteilt.
So ist Breckling bei allem starken Einfluß, den er auf einzelne Gottsucher
geübt hat, und trotz des reichen Schrifttums, das er entfaltet hat und das gewiß
zu seiner Zeit nicht ohne Wirkung gewesen ist'), ein Einzelgänger geblieben und
nur als solcher zu werten. Je älter er wurde, desto mehr verlor sich sein Reform—
eifer und sein Schelten, desto tiefer versenkte er sich in die tiefe und reine Mystik,
die den eigentlichen Kern seiner Frömmigkeit ausmacht: der Christus in ihm
wurde sein eins und alles. Und wenn wir dieses unseres Landsmannes in Ehren
gedenken, so tun wir das, weil er bei aller seiner Maßlosigkeit ein echter
Jünger Jessu gewesen ist, ein Mann von reinstem Wollen, von unbegrenzter
Opferfähigkeit und glühender Liebe zu seinem Heiland und Erlöser.
3. Anfänge des Pietismus in SH““).
Abgesehen von den Einwirkungen des oben behandelten großen einheimischen
Frühpietisten, ist es mit dem Pietismus ebenso gewesen, wie mit allen andern
religiösen und theologischen Erscheinungen: er ist aus dem größeren Deutschland
in unseren Norden hineingetragen worden “).
Als ein Haupteinfallstor dürfen wir gewiß das unserm Lande vor—
gelagerte und wirtschaftlich so eng mit ihm verbundene Hamburg ansehen.
Seit 16084 wirkten hier Johann Winckler und J. H. Horb (beide
süddeutscher Herkunft, Winckler aus der Frankfurter Gegend, Horb aus dem Elsaß
und ein Schwager Speners) und Abraham Hinckelmann kräftig im
Sinne des Spenerschen Pietismus. Es kam hier zwar zu einem gewaltigen
Kampf mit der von dem Pastor an St. Jacobi, Johann Friedrich
n) So namentlich seinen Katalog der Wahrheitszeugen ( Ku KH, 4. Teil Nr. XXXII).
?a) Dem Feuer, das in seiner Seele glühte, hat er in einer Unzahl von kleinen Schriften,
die man heute als „Broschüren“ betiteln würde, Luft gemacht. Ein vollständiges Verzeichnis
ist bei Moller III, 80 -87 zu finden. Man kann nicht sagen, daß die Lektüre dieser Schriften
für den heutigen Leser viel Anziehendes hätte. Es fehlt ihnen jeder ästhetische Reiz, jeder
„Esprit“, jede dichterische Anschaulichkeit. Er redet immer in Abstraktionen und hat eine ver—
hängnisvolle Fähigkeit, wenige Gedanken in ungeheurer Breite auszuführen, so daß seine
Schriften ermüdend wirken. Mit Luthers „Broschüren“ können die Brecklings sich nicht ver⸗
gleichen.
27) Eine zusammenfassende Geschichte des Pietismus in ShHesteht noch aus. Eine gute Wor—
arbeit leiset I-MelIV, 1600-190. Für meine Darstellung haben die Veröffentlichungen von
Th. Wotschke in unsern Bu M Bd. Y9 wertvolle Dienste geleistet (Pfarrer Günthers
Kollektenreise S. 312 ff. und Urkunden zur Gesch. des Pietism. in der Nordmark S. 452 ff.).
Mit der Ausschöpfung von G. Arnolds Kund KGeund des Brecklingschen „Katalogs der
Wahrheitszeugen“ sollte man wegen des einseitigen Standpunktes Arnolds und Brecklings vor⸗
sichtig sein. Weitere Einzelforschungen sind dringend erwünscht.
8) Daß er eine von Süden nach Norden vorgetragene dentsch-evangelische Bewegung ge;
wesen ist, erkennt man auch daran, daß er im Königreich Dänemark erst ein Meunschenalter
später als bei uns lebendig wird.