Eindringen des Pietismus in Ssch
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gleich gesinnten Freunden aus der weiteren Umgebung Eutins. Als echten Pie—
tisten dürfen wir danach den Pastor Linekogel in Giekau (1081-11717)
einen geborenen Hildesheimer, werten ').
„Freunde in Gott“, d. h. im Pietismus mit ihm gleichgesinnte Leute fand
Petersen auch in Kisel. So Christian von Rantzau und den Grafen von
Brockdorff (Leben S. 82), namentlich aber den Professsr Wasmuth
(vgl. oben S. 322), mit dem er in der Hoffnung einer künftigen Vekehrung der
Juden ganz einig war (Leben 853 ff.). Er hat sich auch bemüht, dem theologischen
Kieler Lehrkörper frisches pietistisches Blut zuzuführen, wenigstens behauptet er
(Leben S. 61), daß durch seine Vermittelung J. J. Breithaupt als Pro-
sessor homiletices nach Kiel berufen sei (10849. Dies Bemühen, die Kieler
Fakultät nach Halleschem Muster zu gestalten, ist freilich vergeblich geblieben. Kisel
ist keine Pflanzstättedesrichtigen Pietismusgeworden.
Wasmuth war viel zu wunderlich, um auf die Studenten zu wirken, Kortholt
hat freilich mit Erust die Studiosen zu einem wahrhaft frommen Leben angeleitet,
aber dem eigentlichen Pietismus hat er, gerade durch Petersens und seiner Jo
hanna Ertravaganzen abgeschreckt, den Abschied gegeben. Nach der mild orthodoren
Francks Tode (1704) bemühte man sich von pietistischer Seite her sehr darum,
den entschiedenen Pietisten J. H. Man, Professor in Giesten, nach Kiel zu
bekommen, aber die Regierung war doch seiner „Heterodorie“ wegen bedenklich '!).
Muhllius mit seinen grosien Gaben und seiner langen Wirksamkeit wäre gewiß
im Stande gewesen, der Fakultät einen pietistischen Stempel aufzudrücken und
Holstein viele Prediger dieser Richtung zu scheuken. Aber für ihn war der Pie
tismus mehr Partei- als Herzenssache. Auch war er viel zu sehr um seinen Ruf
als gut Orthodorer besorgt, zu vornehm und bequem, um einen Kömpfer gleich
A. H. Francke darzustellen. So ist denn Kiel niemals eine Pflegestelle des rich—
tigen Pietismus gewesen; wenn man seiner theologischen Fakultät überhaupt einen
einheitlichhen Charakter zuschreiben will, so könnte es nur der einer abgeschwächten,
milden Orthodorie sein, wie sie der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das theo
logische Gepräge aufdrückt. Wer pietistische Theologie hören wollte, mußte nach
Halle gehen, und manche junge Leute unseres Landes sind dorthin gegangen.
Den besten Boden in unserm Lande hat, wenn ich recht sehe, die Saat Speners
und Franckes in Flensburgund seiner Um gebung gefunden.
Daß gerade in Flensburg der Pietismus einen besonders fruchtbaren Boden
fand, ist nicht zu perwundern. Hier war das kirchliche Leben seit der Reformation
durch eine besonders tüchtige Geistlichkeit gepflegt worden. Hier gab es ganz anders
als in Schleswig und Kiel einen freien und selbständigen Bürgerstand. Hier
waren schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts in Teting und Lohmann sek.
tiererische Bewegungen aufgetaucht. Hier hatte Friedrich Breckling tiefe Wirkun—
) Eines Tages unterhielten Petersen und Linekogel sich in des letzteren Hause mit dem
bei den Pietisten so beliebten „Daänmeln'““. Da trafen sie auf Rom. , V. 9. Tief bewegt
Mrieb Petersen „über des Pastoren Tisch: üͤbers Jahr um diese Zeit wird Johanna einen
Sohn haben. Weil aber inzwischen des Herrn Linekegels seine Frau schwanger ward, meypneten
wir, es würde an ihr erfüllet werden. Aber als die Zeit kam, und meine Liebste sich geseegnet
befand, haben wir feste geglaubet“. Und richtig: zur erwarteten Zeit kam der erwünschte Sohn.
So erzählt Petersen (Leben S. 60 ff.). — Im übrigen soll Linekogel tapfer der Herenbrenn⸗
wut seines Patrons Chr. von Rantzau (vergl S. 311f) widerstanden haben. Ueber seinen
literarischen Zusammenstoß mit GS Schwaruz berichten wir weiterhin.
i) Val. BuM 98, 457 s.
Feddersen, Kirchengeschichte, BV. II.