Full text: 1517 - 1721 (2)

Auswirkungen der Reformation 
ordnungen eine gewisse Organisation nicht gefehlt, nur war diese nicht parlamen⸗ 
tarisch, sondern rein obrigkeitlich; sie erfaste nicht das Kirchenvolk, sondern nur 
den Klerus. Aber so ist ja auch die katholische Kirche organisiert, und niemand wird 
sich weigern, sie als echte und rechte „Kirche“ zu bezeichnen. Sofern wir also die 
Bezeichnung „Kirche“ als Ehrentitel gebrauchen und darunter verstehen eine 
irdische Gemeinschaft, die sich um den Kyrios, den Herrn Christus und sein Wort 
sammelt, dürfen spir sicher den altprotestantischen Kirchentümern diesen Ehrentitel 
nicht ie nicht aus dem Grunde, daß sie „Staatskirchen“ 
waren. Denn der Staat, der in der Reformation die Kirche s. z. s. völlig in sich 
aufsog, war ja nicht der moderne religionslose oder religiös neutrale, auch nicht der 
der Aufklärung, der alles nur unter dem Gesichtspunkte der „Staatsraison“ be— 
handelte, sondern der mittelalterliche Staat, der sich als ein Glied oder eine Ab— 
teilung der „Christenheit“, der allgemeinen Kirche auf Erden wußte. Und das 
Staatsoberhaupt war zugleich ein praecipuum membrum ecclesiae (der 
allgemeinen Christenheit!) und wußte sich als solches verpflichtet, auch in der 
Staatsleitung Gottes Gebot zu erfüllen und Christi Ehre zu vertreten. Solange 
diese Auffassung herrscht — und sie hat das noch durch Jahrhunderte nach der 
Reformation getan —, haben wir keine Ursache, die lutherischen „Stagtskirchen“ 
nicht als Kirchen im christlichen Ehrensinne zu werten und zu q) 
6. Ein Problem unserer Reformationsgeschichte. 
Auch bei uns haben volkstümliche Bewegungen nicht gefehlt. Auch in unserem 
Lande haben lebendige Zeugen das neue Evangelium verkündet: Priester, Mönche 
und werdende Priester, die in Wittenberg zu den Füßen des Reformators gesessen 
hatten, haben hie und dort die neuen Gedanken ausgebreitet. Wir dürfen auch das 
literarische Moment nicht vergessen: es gab, namentlich in den Städten, doch schon 
viele, die lesen konnten, und die Hamburger „Buchführer“ werden die gut abzu— 
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gewiß in manchen Städten sowie in den kultivierten Bauerngemeinden des Westens 
ein frgier volkstümlicher Wille zu reformatorischen Taten lebendig 
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die Hauptsache hat dann doch der für stliche Wille getan. Auf das 
aͤnze gesehen spielten die meist kleinen und unbedeutenden Städte zahlenmäßig 
und kulturell eine geringe Rolle: der weitaus grösite Teil der Bevölkerung sasß auf 
dem Lande. Die Bauern aber im Norden, in der Mitte und im Osten waren jeden— 
falls von der geistigen Kultur der Zeit noch wenig berührt, konnten in den seltensten 
Ausnahmefällen lesen und waren sicher, wie die Bauern noch heute, zu durch— 
greifenden Neuerungen wenig geneigt. Wir können in dieser Beziehung wegen 
Mangels an Quellen keine Statistik aufmachen. Es darf m. E. jedoch als sicher 
angenommen werden, daß in den wenigsten Bauerngemeinden von freien Zeugen 
das neue Evangelium gepredigt worden ist: die Mehrzahl hat die Reformation als 
obrigkeitlichen Befehl und Zwang hinnehmen müssen. 
Und nun entsteht die Frage: Warum hat diese Mehrzahl sich die Neuerung so 
ruhig gefallen lassen? Wie kommtes, daß die Reformationin 
unserem Lande mit solcher ruhigen ee dti, 
keitt, ohne große dramatische Momente auf Seiten, des Neuen, ohne wesentliche 
Widerstand des Alten sich Vollzogenhat? 
/Ganz unhaltbar ist die Vorstellung, die gewiß in manchen Reformationsfest- 
predigten eine Rolle gespielt hat, daß unser Volk die neue evangelische
	        
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